Politik Blickpunkt: G-20-Gipfel in Hamburg: Zwei getrennte Welten

Sie reichten sich in Hamburg die Hände. Links die Hand von Putin, rechts jene von Trump.
Sie reichten sich in Hamburg die Hände. Links die Hand von Putin, rechts jene von Trump.

Ein heftiger Schrei: „Nazi!“ Dann geht’s blitzschnell. Schwarzgewandete fallen über zwei Kameraleute und einen Techniker her. Tritte, Schläge, Bierflaschen fliegen. Jagdszenen voller roher Gewalt. Ein Vermummter versucht einem Kameramann mit der Handkante in den Nacken zu schlagen, immer und immer wieder. Die Menge johlt. Mit ihnen teeniehafte Jungs und Mädchen, der Kleidung nach aus gutem Hause. Sie sitzen als Schaulustige auf der angrenzenden Mauer. Das Hamburger Event „Welcome to hell“ hatte sich schließlich vernehmbar angekündigt. Es ist Donnerstagabend, kurz nach 20 Uhr, in der Hamburger Hafenstraße, die eigentlich St. Pauli-Hafenstraße heißt. Sie liegt irgendwo zwischen Reeperbahn und Landungsbrücken. Die Polizei hat einen Straßenabschnitt dicht gemacht, dort, wo sich früher die Hausbesetzerszene ausgetobt hat. Links Wasserwerfer, rechts Wasserwerfer, dahinter robuste Räumungsfahrzeuge. Überall Gruppen von Polizisten in Kampfmontur. Die Luft riecht nach Feuerwerkskörpern, Spannung liegt in der Luft. Ein Journalistenkollege sagt: „Lass uns abhauen von hier! Jetzt wird’s gefährlich!“ Treffpunkt „Blaue Lounge“ Schon wieder eine Push-Meldung. Alle Kommunikation im Hamburger Messezentrum läuft über Push-Meldungen. Die erscheinen auf dem Bildschirm des Handys. Die japanische G-20-Delegation will den Lauf der Welt erklären. Um 22.30 Uhr, Treffpunkt „Blaue Lounge“, Halle B. Zuvor hatte schon die Crème de la Crème der deutschen Ministerialbürokratie informiert. Ein Hintergrundbriefing. So heißt das auf Neudeutsch. Danach scheint sicher: Es wird ein Abschlusskommuniqué geben, allen Unkenrufen zum Trotz. Am Samstagvormittag, nach zwei weiteren durchverhandelten Nächten, vielleicht später. Es werde zehn Seiten lang sein, wabert herum. Und das Gespräch von Bundeskanzlerin Angela Merkel mit dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump sei „konstruktiv“ gewesen. Ach, ja, auch das scheint noch erwähnenswert zu sein: Es sei der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan gewesen, der die Kanzlerin um ein Gespräch gebeten habe. Wow, das sind Nachrichten, die keine Welt bewegt! Raketen und Wasserwerfer Es wird ungemütlich nahe der Bushaltestelle Hafentreppe. Von einer Fußgängerbrücke über der Hafenstraße, die eigentlich St. Pauli-Hafenstraße heißt, fliegen Raketen, Böller und Flaschen auf die Wasserwerfer und die daneben stehenden Beamten. Die Polizisten kommen aus vielen Bundesländern, 19.000 insgesamt. Die Brücke wird geräumt. Die Beamten gehen robust vor. Wer nicht geht, der wird gegangen, gnadenlos. Plötzlich rennt die Menge los. Unkontrolliert, wie im Wahn. Wer nicht zur Seite springt, hat Pech gehabt. Unten, auf der Straße, gebärdet sich ein Punker widerständig. Er wird in den Schwitzkasten genommen und über die Straße geschleift. Er schreit, erhört wird er nicht. Die Wasserwerfer sind im Dauerbetrieb. Anderswo werden Autos abgefackelt, Feuer auf offener Straße gelegt, Müllcontainer brennen. 76 verletzte Polizisten allein an jenem Abend, vermelden die Nachrichtenagenturen. Die Zahl wird sich am darauffolgenden Morgen auf 159 erhöht haben. Wie viele Demonstranten verletzt wurden, ist zunächst nicht bekannt. Angesichts der Gewalt wird ein zusätzlicher Schutzring mit Polizisten um das Hamburger Messezentrum gezogen. Wer hier durch will, muss einen guten Grund haben – und die Taschen zur Kontrolle öffnen. Gegen 22.30 Uhr wünscht ein junger pfälzischer Beamter aus Neustadt einen guten Heimweg. Doch die Proteste gehen nicht heim. Am frühen nächsten Morgen liegen dunkle Rauchschwaden über Hamburg. Höfisches Zeremoniell Sie müssen alle zu ihr. Sie müssen alle die 20 Schritt auf dem roten Teppich auf sie zugehen. Sie müssen ihr die Hand schütteln und ihren Smalltalk erwidern. Wann sie den Abgang machen dürfen, entscheidet Angela Merkel. Dann fährt sie den Arm aus und zeigt lächelnd den Weg. 20 Schritte wegtreten. Offizielle Begrüßung, nennt sich das. Es ist ein höfisches Zeremoniell in einer Republik. Auch Donald Trump muss zu ihr. Der hatte der Kanzlerin bei deren Besuch in Washington noch den Handschlag verweigert. Diesmal hat er keine Wahl. Die Kameras hätten den Affront eingefangen und in alle Welt gesendet. Trump provoziert keinen Eklat. Der US-Präsident schüttelt Merkels Hand. Das ist dann wohl eine Nachricht wert. Der US-Sender ABC meldet sogleich auf Twitter: „Präsident Trump und die deutsche Kanzlerin Merkel schütteln sich die Hände vor dem G-20-Gipfel in Hamburg, Deutschland.“ „Welt online“ berichtet: „Merkel trifft Trump – Ihr Handschlag geht um die Welt.“ Banalität kann grenzenlos ein. Übrigens: Trumps Handschlag mit Russlands Wladimir Putin war nach Einschätzung des russischen Regierungssprechers ebenfalls vermeldenswert: „Sie haben sich beide die Hand geschüttelt“, so Dmitri Peskow. Die Nachrichtenarmut auf diesem Gipfel ist bemerkenswert. Aber da ist noch was: Was an Informationen aus dem innersten Kreis der Macht herauskommt, ist gesteuert und interessengeleitet. Nichts ist unabhängig überprüfbar, nichts transparent. In Hamburg treffen Welten aufeinander. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Gäste vor einer Arbeitssitzung in den Messehallen.
Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Gäste vor einer Arbeitssitzung in den Messehallen.
Der Schwarze Block macht sich bereit. Gewalt gilt diesen Protestlern als legitimes Mittel.
Der Schwarze Block macht sich bereit. Gewalt gilt diesen Protestlern als legitimes Mittel.
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