Kolumne „Am Küchentisch“ Wie geht’s Dir: Wie offen Fremde im Urlaub auf die Frage reagieren

Zeit zum Nachdenken im Strandkorb.
Zeit zum Nachdenken im Strandkorb.

Wie geht es Dir? Kleine Frage, große Bedeutung. Im Englischen und Französischen sind „How are you doing?“ und „Comment ça va?“ Teil der Begrüßung. Der Fragende will darauf keinen ausführlichen Gemüts-Zustandsbericht hören, erwartet aber doch eine echte Antwort.

Der kurze Austausch ist nicht der Einstieg in eine tiefe Konversation und hat doch nichts mit Oberflächlichkeit zu tun. Er gehört einfach dazu. Manchmal aber ist er tatsächlich nur eine Floskel, wenn der „Wie geht’s“-Fragesteller keine Antwort abwartet und stattdessen von sich selbst erzählt. Andere wiederum fürchten vielleicht eine ehrliche Antwort – denn der Angesprochene könnte anders als erwartet von Problemen, von Trauer oder Einsamkeit reden. Und nicht alle Themen haben überall Platz.

Von Freunden erwarten wir, dass sie empathisch sind, dass sie nachhaken, auch Gestik und Mimik zu deuten wissen, wenn die erste Antwort „gut“ lautet, und Körpersprache und Stimmlage nicht recht dazu passen. Vertrauen gehört dazu und die Bereitschaft, sich zu öffnen. Dann sind Gespräche möglich – ob in der Kneipe, auf der Straße oder am Küchentisch.

Tiefe Einblicke

Selbst Freunde aber sind kein Garant dafür. Denn bisweilen bleibt der Dialog mit ihnen auf halber Strecke stecken. Manchmal aber überraschen Fremde – mit großer Offenheit und tiefen Einblicken. So wie diesen Sommer, den die Schreiberin dieser Zeilen zwei Wochen an einer gar nicht so überfüllten Ostseebucht genoss. Da war die Frau, die abends im Restaurant-Strandkorb allein aß und beim Vorbeigehen auf die Frage, „Wie geht’s Dir im Segelkurs?“, lange erzählte.

Die Depression kommt nicht nur mit Corona

Der sei gut, sagt sie, aber er habe ihr nicht die Ruhe geben können, die sie sich so sehr erhofft hatte. Und sie auch nicht ihren Gedanken über ihr Leben entreißen können. Ein Leben, das der Tod des Vaters, die Spannungen mit den Geschwistern und Corona völlig durcheinandergebracht haben. Aktuell hat sie keinen Job mehr, keinen Partner, keinen festen Wohnsitz. Sie sucht nach Neuanfang. An allen Fronten. Sie ringt um Fassung, um eine neue Balance. Um ein neues Ich. An jenem Abend fand sie durch die einfache Frage nach dem Befinden Zuhörer. Wildfremde. Vielleicht genau das Richtige in dem Moment.

Mehr als Mann-über-Bord-Manöver

Und da war noch Segellehrer Alex. Wie geht’s Dir? Als bei Flaute die Zeit stehenzubleiben scheint, gibt er mehr von sich preis, als sein Wissen über Wetter und Mann-über-Bord-Manöver. Mit 18 hat er zu Hause in Russland geheiratet, heimlich. Dann floh er mit seiner jungen Frau nach Europa. Arbeitete mal hier, mal da, dann als Immobilienmakler. Sah sich seine Seele verkaufen in dem Job, hörte wieder auf. Und entdeckte zufällig auf einem Urlaubstörn das Segeln. Er machte die nötigen Scheine und die Leidenschaft zum Beruf. Zwölf Jahre als Segellehrer und Ausbilder auf Jachten.

Ernste Entscheidung, offene Zukunft

Die erste Frau ist weg. Jetzt will er aufhören auf dem Wasser, sucht eine Stelle an Land. Hat ihn die Leidenschaft fürs Segeln verlassen? Nein, auf keinen Fall. Aber die passe mit dem Älterwerden und seinem Wunsch, eine Familie zu gründen, nicht, sagt er. Die Entscheidung steht, die Zukunft ist offen. Richtig gut geht es ihm damit nicht. Wind kommt auf, der Kurs geht zu Ende. Keine Zeit mehr fürs Gespräch. Die Gedanken bleiben, wie geht es Dir? Gute Frage, nicht nur im Urlaub. Sand unter den Füßen, Taue in der Hand, Wind im Haar. Zeit zum Nachdenken, zum Fühlen. Eine frische Brise.

In der Kolumne „Am Küchentisch“ schreiben Redakteure des Südwest-Ressorts über die Pfalz, ihr Familienleben und den Redaktionsalltag.
Simone Schmidt
Simone Schmidt
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