Politik Wo der Martin zum „Bierkönig“ geht

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Am Sonntag will die SPD offiziell Martin Schulz zum Kanzlerkandidaten wählen. Seine Karriere begann einst im nordrhein-westfälischen Würselen. Von 1987 bis 1998 war er Bürgermeister der Kleinstadt bei Aachen. Eine Spurensuche.

Zwei Kanzler haben den „Bierkönig“ an Würselens Lindenplatz besucht: Gerhard Schröder und Angela Merkel. Ab Oktober soll Martin Schulz der Dritte im Bunde sein, dessen Bild an der Wand des Kiosks hängt, in dem Dieter Breuer rund 500 Biersorten aus aller Welt vorrätig hält. „Das passt: Ich bin der deutsche Bierkönig, er ist der deutsche Bundeskanzler“, sagt er. Würselen – der Einheimische spricht das „Wöschele“ mit weichem „sch“ wie in „Jean“ aus. Außer der barocken Sebastianuskirche und der im Sommer mit Freiluftkonzerten bespielten Burgruine Wilhelmstein hat die 40.000-Einwohner-Stadt nicht viel Architektur zu bieten. Bei Aachenern ist der Ort als ruhige Einkaufsmöglichkeit beliebt. Was der Zweite Weltkrieg übrig ließ, erledigte später die Abrissbirne. Der Bereich um das neue Rathaus mit seinen modernen roten Backsteinhäusern ist recht hübsch. In der Amtszeit von Bürgermeister Martin Schulz wurde das alte Rathaus, ein Gründerzeitbau, Kulturzentrum der Stadt. Im Sport kann Würselen auf Lorbeeren verweisen. Nach dem Krieg spielte die Rhenania in der Oberliga West, der damals höchsten Spielklasse. Im Verein ackerte auch Martin Schulz bis zu seiner schweren Knieverletzung 1975 als Linksverteidiger. Fußballverrückt ist der Fan des 1. FC Köln (Idol: Wolfgang Overath) bis heute. Derzeitiger Hausherr im neuen Rathaus ist Arno Nelles, seit 2009 der erste Sozialdemokrat, der nach Schulz wieder Bürgermeister in Würselen ist. Inzwischen hat die Stadt den Umbau von der Bergbaustadt zur Dienstleistungskommune geschafft. Lange gehörte Würselen zu den 34 Gemeinden, die wegen Überschuldung unter Kuratel der Düsseldorfer Landesregierung standen. Jetzt ist der Haushalt ausgeglichen. Stolz zählt das Stadtoberhaupt die Firmen auf, die seit ein paar Jahren mit ihrer Gewerbesteuer dazu beitragen. So ist ein wichtiger Hersteller von Flugzeugessen dort ansässig. Andere Firmen aus dem High-Tech-Bereich sind aus dem Umfeld der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen an die Wurm gekommen. Bürgermeister Nelles ist zufrieden über den Arbeitsplatz-Mix. Die Gewerbesteuereinnahmen seien stabil. Das Gewerbegebiet „Aachener Kreuz“ ist unter Vorgänger Schulz entstanden. Der erwies sich damals als geschickter Marketingmann für Würselen, wohin seine Familie aus dem nahen Eschweiler-Hehlrath in seiner Kindheit zog. Martin Schulz ist in seiner Heimat verwurzelt, und es kommt öfters vor, dass der langjährige Europa-Politiker beim Einkaufen auf Leute trifft und mit ihnen ein Schwätzchen hält. Auch beim „Bierkönig“ schaut er manchmal vorbei, „aber niemals, um Bier zu kaufen“, wie Dieter Breuer betont. Seit 1980 trinkt Schulz, der einmal ein Suchtproblem hatte, keinen Alkohol mehr. Der Verkauf des alten Freibades und der Bau des Spaßbades „Aquana“ ist der dunkle Punkt der Rathauszeit des heutigen SPD-Spitzenmanns. Gegen den Widerstand einer Bürgerinitiative wurde der Bau durchgesetzt, und danach musste die SPD eine bittere Niederlage einstecken. Das Bad und die daraus resultierenden jährlichen Defizite in Millionenhöhe belasten bis heute den städtischen Haushalt. „Es war sicherlich nicht die Glanzleistung meiner Zeit als Bürgermeister“, gibt Schulz heute zu. Der Buchladen, den der gelernte Buchhändler 1982 mit seiner Schwester Doris in Würselen gründete, gibt es noch. Bis 1994 blieb Schulz Mitinhaber. Heute wird das Geschäft von der Frau des SPD-Stadtverbandsvorsitzenden geleitet. Noch immer kauft Schulz dort ein. Eine weitere Verbindung zur Heimat ist Schulz’ Schulfreund Herbert Hansen. Er wurde sein persönlicher Referent im EU-Parlament und wäre wohl auch in einer Bundesregierung unter Schulz tätig.

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