Politik Altenpflege: Das neue Gesetz im Praxistest

Pflegekräfte wünschen sich mehr Zeit für die Bewohner.
Pflegekräfte wünschen sich mehr Zeit für die Bewohner.

Zehntausende Fachkräfte fehlen in der Pflege. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungs-Gesetz, das im August im Kabinett behandelt wird, soll dem Mangel entgegengewirkt werden. Was aber können die Maßnahmen bewirken? Thomas Gebhart (CDU), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit, war gestern zum Praxistest im Caritas-Altenzentrum St. Ulrich in Neustadt.

Die Gunst der Stunde nutzt zunächst Caritasdirektor Vinzenz du Bellier. Er konfrontiert den Bundestagsabgeordneten Thomas Gebhart aus der Südpfalz mit dem Schreckgespenst Aufnahmestopp. Sobald die 50-Prozent-Quote an Fachkräften in einer Alteneinrichtung in Rheinland-Pfalz unterschritten wird, darf niemand mehr aufgenommen werden.

Qualität bleibt auf der Strecke

Das führe nicht nur zu finanziellen Einbußen, sondern beschädige das Image eines Heimes, sagt du Bellier. Die anwesenden Mitarbeiter des Neustadter Altenzentrums nicken. Im vergangenen Jahr ist in St. Ulrich zweimal dieser Fall eingetreten. Und der Fachkräfte-Markt sei leer gefegt, merkt Pflegedienstleiterin Regina Greiner an. Die Folge dieser Entwicklung beschreibt du Bellier drastisch: „Wir stellen jeden ein, der zwei Beine hat.“ Qualität bleibt so auf der Strecke. Da hakt Gebhart ein. Derzeit befänden sich 67.000 Frauen und Männer in einer Altenpflege-Ausbildung. Das seien fünf Prozent aller Auszubildenden in Deutschland. Und diejenigen, die er kennengelernt habe, seien hochmotiviert und hätten eine tolle Einstellung. Da gibt es ein wenig Widerspruch aus der Praxis. Denn so rosig sieht man in St. Ulrich die Situation nicht. Oft sei der Bildungsgrad der Bewerber grenzwertig, nimmt Praxisanleiterin Sabine Schanz kein Blatt vor den Mund. Damit die jungen Menschen das Ausbildungsziel erreichten, müssten „sehr viel Zeit und Herzblut“ investiert werden. Schanz lässt keinen Zweifel daran, dass sie dies mit Begeisterung angeht. Fünf Auszubildende haben gerade ihren Abschluss geschafft. Darauf ist sie stolz. Zwei bleiben in der Einrichtung, drei wurden durch eine Prämie in ein anderes Heim gelockt. 3000 bis 5000 Euro als Einmalzahlung zögen in dem Alter mehr als eine zusätzliche Altersvorsorge, sagt Greiner.

Viele geben den Job auf

Auch wenn das Interesse an der Altenpflegeausbildung gestiegen ist, so arbeiten viele nach einigen Berufsjahren nur noch Teilzeit oder scheiden ganz aus. Warum das so ist, beschreibt eine Altenpflegerin mit wenigen Worten: In der Morgenschicht habe sie mit einer weiteren Fachkraft 25 Schwerpflegebedürftige versorgt: „Danach bin ich fertig.“ Dazu komme, dass man selbst an freien Tagen oft einspringen müsse. Der Staatssekretär verdeutlicht, dass mit dem Gesetz die Situation der Pflegekräfte verbessert werden soll. Die Bedeutung untermauert er mit einem Vergleich: In der Pflege insgesamt arbeiteten 1,1 Millionen Menschen, mehr als in der Autoindustrie samt Zulieferer. Da seien es 800.000.

Eine Stelle zusätzlich bringt nicht viel

In einem ersten Schritt sollen in der Altenpflege 13.000 zusätzliche Stellen durch die Krankenkassen finanziert werden. Gebhart erklärt die Staffelung. Für eine Einrichtung der Größenordnung zwischen 41 und 80 Betten sei eine zusätzliche Stelle vorgesehen. St. Ulrich hat 75 Betten, also eine Fachkraft mehr. Die Altenpflegerin ist ehrlich: Das bringe nicht viel. Das sei ja nur ein erster Schritt, sagt Gebhart. Im Blick hat das Gesetz auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, denn über 70 Prozent der Pflegekräfte arbeiten in Teilzeit. Das Gros sind Frauen. Welche Maßnahmen denn in diesem Bereich gefördert würden, will Praxisanleiterin Schanz wissen. „Das ist bewusst offen gehalten“, antwortet Gebhart. Aber eine Hausnummer gibt es: 7500 Euro Zuschuss pro Einrichtung. Unter dem Stichwort Digitalisierung sind 12.000 Euro pro Heim vorgesehen. Auch dabei sind Ideen kaum Grenzen gesetzt. „Es ist klar, dass wir nicht auf einen Schlag alle Probleme lösen können. Aber es ist ein erster Schritt und ein starkes Signal“, so der Politiker.

Image des Berufs soll anders werden

Die Anwesenden in St. Ulrich verbinden damit die Hoffnung, dass sich das Image des Berufs wandelt. Denn sie wissen trotz aller Belastungen und Widrigkeiten, dass es ein sinnstiftender Beruf ist. Pflegedienstleiterin Greiner gibt wieder, was eine junge Frau nach einem Praktikum in St. Ulrich erstaunt festgestellt hat: „Ich habe nicht gedacht, dass in einem Altenheim so viel gelacht wird.“ Dass es ihr nicht immer zum Lachen zumute ist, will eine Heimbewohnerin Gebhart noch mit auf den Weg geben. Sie hat alles aufgeschrieben. In wenigen Minuten erfährt der Abgeordnete, was Altenheimalltag auch bedeutet: Wenn sie nachts nach einer Pflegekraft klingele, die ihr auf den Toilettenstuhl helfen müsse, warte sie manchmal 15 Minuten und länger, sagt die Rollstuhlfahrerin. Der Grund: Zwei Altenpflegerinnen kümmern sich nachts um 75 Menschen auf drei Stockwerken. „Die wissen gar nicht, wie sie herumkommen sollen.“ Dann muss die Seniorin noch etwas loswerden: „Wir haben halt keine Lobby, wir Alten.“ Kurze Pause. „ Aber schön, dass sie mich angehört haben.“

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