Donnersbergkreis Nur der „Bote vom Bundestag“ fehlt

Mainz. Hohe Politik, herrlicher Kokolores und viel Schwung: Die Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz, wie es singt und lacht“ kommt zu ihrem 60. Geburtstag alles andere als altbacken daher. Bei der närrischen Generalprobe am Mittwoch jagte ein Höhepunkt auf der Bühne den nächsten. Redner wie Hansi Greb als „Hoppes“ oder Lars Reichow mit seinen „Fasnachtsthemen“ sind so stark wie nie. Nur einer fehlte: Jürgen Dietz, der „Bote vom Bundestag“.

Seit 1987 hat der Fasnachter mit seinen spitzen Pointen die Politik bei „Mainz bleibt Mainz“ aufs Korn genommen, vergangenen Samstag war er plötzlich an einem Krebsleiden verstorben. Die Frage war: Wie würden die Verantwortlichen vom Südwestrundfunk (SWR) dieser Säule der Fernsehsitzung gedenken? Die Antwort ist: spät. Erst gegen Viertel vor elf, fast schon am Schluss der Sendung, setzt der SWR zum Gedenken an Jürgen Dietz an. Andreas Schmitt, Sitzungspräsident von „Mainz bleibt Mainz“, tritt nach seinem Vortrag als Obermessdiener aus der Bütt heraus, und erinnert noch einmal an den großen Redner der Mainzer Fasnacht: „Weil er als ,Bote’ nun gezielt/ oben auf der großen Bühne spielt.“ Und dann spricht Schmitt noch einmal den Schlussvers, mit dem Dietz jeden seiner „Boten“-Gänge beendete: „Über alles wächst mal Gras, ist das Gras ein Stück gewachsen, frisst′s ein Schaf und sagt: Das war′s.“ Darauf folgt unmittelbar Thomas Neger, der sein Lied „Wir leben im Schatten des Doms“ singt, in dem es heißt: „Wir halten uns′re Fahnen schwenkend hoch in den Wind, und danken, dass wir Gast auf Erden sind.“ Das war es dann. Kein Bild von Dietz, nicht einmal sein altes Bundestags-Rednerpult wird auf die Bühne geholt, und man darf gespannt sein, ob den Zuschauern das reicht. „Wir haben eine schwierige Situation sehr würdig gelöst“, sagte dazu am Mittwochabend Richard Wagner, Präsident des Mainzer Carnevals-Vereins (MCV), die närrische Heimat von Dietz. Offenbar hatten der SWR sowie die vier Fasnachtsvereine, die die Sendung tragen, große Angst davor, dass mit dem Gedenken an Dietz die Stimmung im Saal kippen würde. „Wir haben wirklich sehr lange darüber diskutiert“, sagte Horst Ernerth, Präsident des Gonsenheimer Carnevals-Vereins. Das Gedenken einzubauen, sei ein Spagat, das Ergebnis „hervorragend und stilvoll“. Dabei hätten die Verantwortlichen gar nicht so viel Angst haben müssen: Den Schlusspunkt der Sendung setzt in diesem Jahr das Fasnachtsduo Martin Heininger und Christian Schier. Deren Vortrag über einen Fasnachtscoach, der einen unbedarften Zuschauer die närrische Rede lehrt, ist sehr komisch. Besonders Schier erweist sich als Glücksfall für die Sendung: Das Multitalent rockt zweimal als „Störenfried“ aus dem Publikum den Saal. Hier schickt sich einer an, zum Star der Fernsehfasnacht zu werden. Überhaupt laufen in diesem Jahr die Redner in Mainz zur Höchstform auf: „Hoppes“ Greb ist als Nachbar so gut wie nie, Jürgen Wiesmann glänzt als urkomischer Fast-Schwiegervater. Schlag auf Schlag geht es durch die Sendung, rasant und kurzweilig. Da fiel es auch nicht auf, dass noch einer fehlte: Andy Ost aus der Sparte Musik-Kokolores legte sich am Mittwoch mit einer Grippe und 40 Grad Fieber ins Bett, sein Ausfall wurde durch Schier gut kompensiert. Zum Abräumer des Abends bei den Rednern wurde bei der närrischen Generalprobe Detlev Schönauer als „Lehrer“. Gekonnt vermischt der Mainzer Lokalkolorit mit einem Schuss Politik – etwa, wenn er seinen Schülern die Textaufgabe Nürburgring stellt: „Erkläre a) wo ist das Geld hin, b) wie viele Köpfe sind im Kabinett gerollt und c) wie viele Nürburgrings braucht man, bis Rheinland-Pfalz pleite ist.“ Ganz stark. Mit Schönauer holen die Fernsehmacher schon den zweiten Profi-Kabarettisten auf die Bühne. Lars Reichow heißt der andere, und der schickt sich an, mit ähnlich kurzen Sätzen wie einst Jürgen Dietz auf Pointenjagd zu gehen. Hans-Peter Betz setzt als „Guddi Gutenberg“ einen starken Schlusspunkt in Sachen Charlie Hebdo, während Friedrich Hofmann als „Till“ zu Beginn der Sendung eher traditionell daherkommt. Dem Abend habe trotz des Todes des „Boten“ und des Ausfalls von Andy Ost „nichts gefehlt, weder politisch-literarisch, noch beim Kokolores“, befand der Präsident des Mainzer Carneval Vereins (MCC), Richard Wagner. Wirklich nichts? Und was ist mit dem 60. Jubiläum der Fernsehsitzung? Das Jubiläum ist in den Vorträgen kein Thema. Nur an einer Stelle geht Sitzungspräsident Schmitt darauf ein, wenn er Altmeister Herbert Bonewitz und die legendäre Margit Sponheimer im Publikum begrüßt. Dann darf der Saal kurz zum Evergreen „Am Rosenmontag bin ich geboren“ schunkeln – Ende. Die Fernsehmacher haben sich entschieden, lieber die aktuelle, moderne Fasnacht zu zelebrieren. Denn wie könne man, sagte SWR-Verantwortlicher Günther Dudek, „das Jubiläum besser feiern?“

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