Rheinland-Pfalz Ludwigshafen: 20 Jahre Staatsbürgerschaftsgesetz - Jugendliche in der Identitätskrise

Früher mussten sich die neuen Deutschen zwischen dem 18. und 23. Lebensjahr für eine Staatsbürgerschaft entscheiden. Seit 2015 k

Vor 20 Jahren verabschiedete der Bundestag das neue Gesetz zur Staatsbürgerschaft: Kinder ausländischer Eltern können seitdem mit der Geburt Deutsche werden. Studien bewerten die Auswirkungen des Gesetzes positiv. Doch viele betroffene Jugendliche fühlen sich im Alltag nicht als Deutsche wahrgenommen. Was sind die Gründe?

Resul Demirel und Feyza Nur Kapucu sitzen gerade an einem kleinen weißen Tisch in der Stadtbibliothek Ludwigshafen und üben Mathematik für die Schule. Beide sind 17 Jahre jung, beide besuchen die 11. Klasse des Geschwister-Scholl-Gymnasiums im Stadtteil Süd. Beide sind als Kinder türkischer Eltern in Deutschland geboren – die Schülerin Kapucu in Ludwigshafen, der Schüler Demirel in Frankenthal. Und beide antworten auf die Frage nach ihrer Identität, dass sie sich sowohl als Türke als auch als Deutsche fühlen. „Durch den deutschen Pass fühle ich mich eingebunden in die Gesellschaft. Ein Teil von mir ist deutsch“, sagt Kapucu. Sie hat nur den deutschen Pass, Demirel besitzt beide Pässe. Ihre deutschen Pässe verdanken die beiden Jugendlichen dem neuen Staatsbürgerschaftsgesetz, das auf Initiative der damaligen rot-grünen Bundesregierung im Mai 1999 im Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossen wurde und im Januar 2000 in Kraft trat. Es brachte eine entscheidende Neuerung. Bis dahin galt nur das Abstammungsprinzip – das hieß, ein Deutscher musste von deutschen Eltern abstammen. Seit dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes bekommen auch Kinder ausländischer Eltern automatisch den deutschen Pass. Voraussetzung dafür ist, dass von den in Deutschland geborenen Kindern mindestens ein Elternteil sich seit acht Jahren legal im Land aufgehalten hat und eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besitzt.

2014 fällt Optionspflicht weg

Bis 2015 bestand dabei die sogenannte Optionspflicht; mit anderen Worten: Zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr mussten sich die Betroffenen zwischen der deutschen und der Staatsbürgerschaft der Eltern entscheiden. Mit der Reform des Gesetzes im Jahr 2014 wurde die Optionspflicht für in Deutschland aufgewachsene Kinder aufgehoben, sodass diese seit 2015 beide Pässe behalten können. Ein wichtiger Beweggrund für das Gesetz war vor zwanzig Jahren, den gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. In Deutschland geborene Kinder sollten nicht als Ausländer, sondern als Deutsche aufwachsen und sich mit ihrem Geburtsland identifizieren können. Ein Ansatz, der durch Studien bestätigt wird. Christoph Sajons, Arbeitsökonom am Institut für Mittelstandsforschung an der Universität Mannheim, hat in einer Studie das Verhalten von Eltern unter die Lupe genommen, deren Kinder durch die Geburt automatisch Deutsche wurden. Dafür hat er zwischen 2001 und 2008 das Arbeitsmarktverhalten von Eltern von etwa 1200 Kindern untersucht, die in den Jahren 1997 bis 2002 geboren waren. Sein Befund: Während sich bei den Vätern keine großen Unterschiede feststellen ließen, blieben die Mütter nach der Geburt des Kindes länger zu Hause.

Deutscher Pass verändert Zukunftsperspektive 

„Ein Grund für das veränderte Arbeitsverhalten der Mütter könnte sein, dass sie mehr Zeit in ihre Neugeborenen investieren wollten“, vermutet er. Die Kinder hätten durch die deutsche Staatsbürgerschaft bessere Chancen, auf eine gute Schule zu gehen, einen soliden Beruf zu ergreifen und in der Gesellschaft anzukommen. „Ein Baby mit deutschem Pass verändert die Zukunftsperspektiven einer ganzen Familie“, sagt Sajons. Der Wissenschaftler berichtet gegenüber der RHEINPFALZ auch von anderen Studien, die auf positive Auswirkungen des deutschen Passes auf die Integration schließen ließen. So sei in den Schulen festgestellt worden, dass Schüler mit deutschem Pass mehr mit deutschen Schülern gespielt und ihre Eltern mehr Kontakte zu Deutschen hätten. Ob allerdings der deutsche Pass der Grund für die verstärkten Kontakte war oder integrierte Ausländer sich mehr einbürgern ließen, wollte Sajons nicht abschließend beantworten. Talea Meenken dagegen, Sprecherin der Stadt Pirmasens, weiß: „In Familien von betroffenen Kindern ist in der Regel bereits eine gute Integration erfolgt. Ansonsten hätten die Eltern beziehungsweise ein Elternteil nicht bereits ein unbefristetes Aufenthaltsrecht für Deutschland erworben, was wiederum erst die Voraussetzung für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit dieser Kinder ist.“

In der Gesellschaft nicht als Deutsche angesehen

Wie attraktiv der deutsche Pass für junge „Neudeutsche“ ist, wie sie im Alltag auch genannt werden, zeigen die Statistiken des Integrationsministeriums in Mainz. Wie das Ministerium auf Anfrage der RHEINPFALZ mitteilt, vollendeten bis 2014 nach dem damaligen Stand der Gesetzgebung 670 junge Menschen das 18. Lebensjahr und mussten sich für eine Staatsbürgerschaft entscheiden – entweder für die deutsche oder die des Herkunftslandes der Eltern. „Niemand von ihnen hat sich für die ausländische Staatsangehörigkeit entschieden“, so das Ministerium. Die Anzahl der Kinder ausländischer Eltern, die im Zeitraum zwischen 2000 und 2015 durch ihre Geburt in Rheinland-Pfalz die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben, beträgt nach Angaben des Ministeriums 21.237. Außerdem hätten 1255 Kinder, die zwischen 1990 und 1999 in Deutschland geboren wurden, dank der Übergangsregelung die deutsche Staatsangehörigkeit erworben. Auch wenn die in Deutschland geborenen Kinder ausländischer Eltern mit dem Deutschen Pass aufwachsen, bedeutet das nicht unbedingt, dass sie in der Gesellschaft als vollwertige Deutsche angesehen werden. Demirel und Kapucu sagen, dass sie beispielsweise von ihren Mitschülern eher als Türken angesehen werden. „Sie achten nicht so auf den Pass, sondern auf die Nationalität“, schlussfolgert Kapucu. Und Elisa, die als Tochter eines Marokkaners und einer Rumänin in Berlin geboren wurde und seit einigen Jahren in Ludwigshafen lebt, erzählt: „Wenn ich meinen Mitschülern sage, dass ich Deutsche bin, dann lachen sie mich aus. Sie nehmen das nicht ernst.“ Die 14-Jährige antwortet auf die Frage, als was sie sich fühle: „Eher als Deutsche, aber ich weiß es nicht so genau. Sicher bin ich mir da nicht.“ Sie fügt hinzu: „Aber ich lebe hier und Deutsch ist die einzige Sprache, die ich spreche.“

C. Sajons
C. Sajons
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