Rheinpfalz Die Sandsteinwände hochgehen

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Die Pfalz. (Fast) unendliche Weiten, Ebenen, Berge, Wasser, Wiesen. Und viel Wald. Die RHEINPFALZ hat sich wieder auf den Weg gemacht. Kreuz und quer durch die Pfalz. In unserer Sommerserie berichten Redaktionsmitglieder, was sie bei der „Tour de Pfalz 2016“ erlebt haben. Heute wagt sich ein Journalist in den Bad Dürkheimer Kletter-Steinbruch des Pfälzwald-Vereins. Dort geht er buchstäblich die Wand hoch – aber nur auf der einfachsten Route.

Günter Kolbe misstraut mir. Ich habe ich mich als Möchtegern-Kletterer mit null Vorerfahrung und Höhenangst angekündigt. Das, sagt Bad Dürkheimer, tun viele. Oft kraxeln diese Leute dann derart flott die Sandsteinwand hoch, dass sich so viel Geschick nur mit einer riesigen Portion Naturtalent erklären lässt. Oder doch eher mit wenigstens ein bisschen Übung, die der vermeintliche Anfänger aus Angst vor einer Blamage lieber verschwiegen hat. Wie das bei mir ist, kann sich erst später zeigen. Denn erst einmal muss ich zur Eingangsprüfung. Wer’s kann und seine Ausrüstung selbst mitbringt, darf im Steinbruch an der Zufahrtsstraße zur Klosterruine Limburg auf eigene Faust losklettern. Echte und angebliche Anfänger können mit dem Kletterwart einen Termin ausmachen, sich bei ihm Gurte und Seile leihen. Weil der Pfälzerwald-Verein diese Ausrüstung auch bezahlen muss, werden dann pro Person 15 Euro fällig. Außerdem müssen die Kandidaten wenigstens ein bisschen Leistungsfähigkeit beweisen: mit ein paar Klimmzügen am Gestänge des Zeltdachs, unter dem der Pfälzerwald-Verein seine Feste feiert. Diese kleine Muskelübung kriege ich tatsächlich hin. Also wird der Herr Kolbe für mich zum Günter: Ich darf ihn nach alter Kraxler-Sitte duzen. Und in den Klettergurt steigen. Dessen Riemen umschlingen nicht nur die Hüften, sondern auch die Oberschenkel. Und deshalb drücken sie schnell mal auf, nun, man ahnt es ja. Aber dafür wird in seinen Schlaufen das Seil verknotet, an dem zusammen mit mir gleich auch mein Leben oder wenigstens meine Gesundheit hängen werden, gehalten nur vom Kletterwart und der vor seinen Bauch geschnallten Seilbremse. Günter ist braungebrannt und schon 75, aber er geht selbst erst seit fünf Jahren die Wände hoch. Bloß die Routen mit den Felsüberhängen, die hat ihm sein Arzt inzwischen verboten, sagt er. Aber jetzt soll ja ohnehin ich ran. Wir stehen an einer Stelle, an der sich die Sandstein-Wand nahezu kerzengerade in die Höhe reckt. Nur ganz unten in der Ecke ragt ein kleiner Vorsprung heraus, als hätten ihn die Steineklopfer einst extra als Einstiegshilfe für Möchtegern-Kletterer wie mich stehengelassen. Aber das ist auch der letzte Gefallen, den sie mir getan haben. Jetzt müssen sich meine Hände und Füße in kleine Felsspalten quetschen oder Mini-Steinbeulen erspüren. Denn Griffstellen sind kaum zu sehen, wenn man erst einmal an der Wand hängt. Aber irgendwie schiebe, ziehe, klammere, wackele, schnaufe und zittere ich mich tatsächlich die vorgesehenen sechs Meter in die Höhe. Runter geht’s leichter, ich darf am Seil hinabgleiten. Allerdings brauche ich mehr Abstand zur Wand, damit ich nicht den Felsen entlangschramme. „Den Popo rausstrecken“, befiehlt mir Günter von unten, ehe er mich sanft zu Boden gleiten lässt. Nebenbei fällt mir auf: Die vorab angekündigte Höhenangst hat ihren Auftritt verpasst. Weil dieses Seil irgendwie beruhigt. Oder weil ich zu beschäftigt war, um überhaupt zu bemerken, dass der Boden aus sechs Metern Höhe schon verdammt weit weg ist. Ob Günter mit seinen Zweifeln an meiner fehlenden Vorerfahrung recht hat, bleibt trotzdem noch offen. Denn bis jetzt habe ich nur die einfachste Route gepackt: Rang drei oder vier auf einer elfstufigen Schwierigkeitsskala. Weiter rechts, wo die Felswand 20 Meter hoch ist, plant Günter eine Zehner-Strecke. Um die 30 Routen haben er und Spezialisten vom Alpenverein sowie von den Pfälzer Kletterern seit 2008 angelegt. Für Hände und Füße müssen Schlitze in den Stein geschlagen werden, für die Seile werden Metallösen in den Felsen gerammt. Einmal mussten zupackende Helfer sogar einen wackeligen Zehn-Tonnen-Felsbrocken zerteilen und abtransportieren lassen. Im Gegenzug soll der Kletter-Steinbruch dem Pfälzerwald-Verein neue und jüngere Mitglieder bescheren. Die lockt auch ein Kletterbaum. Bis in neun Meter Höhe sind um seinen Stamm Gurte geschnallt. An deren Griffnoppen hangele ich mich jetzt ruckzuck nach oben: Ungefähr so muss sich ein Affe im Dschungel fühlen, denke ich mir. Und: Ungefähr so sehe sich dabei wahrscheinlich auch aus. Egal, Günter bietet Möchtegern-Kletterern ohne Vorerfahrung gleich noch einen Knüller: ein über den Platz gespanntes Seil, in das ich mich mit meinem Klettergurt einhängen kann. Heraus kommt eine Konstruktion, die ungefähr so funktioniert wie die Seilbahnen auf Kinderspielplätzen. Nur dass man dort, meiner Erinnerung nach, längst nicht so flott dahinsaust wie hier. Weil ich für die RHEINPFALZ da bin und immer sorgfältig recherchiere, surre ich gleich dreimal über den Platz. Bis Günter sagt: „Eigentlich ist das ja schon eher für Kinder gedacht.“ Schon gut, ich habe verstanden. Aber man sollte Kinder ja auch nicht unterschätzen. In den Alpen sind kleine Bergwanderer schon oft genug an mir vorbeigestürmt, scheinbar mühelos, vor allem aber: völlig unbeeindruckt von gähnenden Abgründen. Und hier, sagt Günter, sind begabte Kinder schon häufig eine Fünfer-Route hinaufgeklettert: neun Meter hoch, mit leicht überhängendem Felsen. Ich soll das jetzt auch. Günter und sein Mitstreiter Peter Tempel von den Pfalzkletterern geben mir Tipps zur Arm- und Beinarbeit. Sie sagen mir, wohin ich meinen Fuß als nächstes setzen muss. Und schließlich versuchen sie, von unten her meinen Hintern in die richtige Richtung zu schieben. Was natürlich nur geht, weil ich über den ersten Höhenmeter noch nicht hinausgekommen bin, als ich ins Leere greife und am Seil baumele. Wieder und wieder versuche ich’s, doch von Mal zu Mal scheitere ich kläglicher: Meine Kräfte lassen nach. „Naja, als Journalist musst du ja sonst nur Bleistifte heben“, sagt Günter schließlich, und wahrscheinlich meint er das tröstend. „Handwerker haben’s da leichter. Aber wenn du ab jetzt zweimal die Woche kommst, wird’s vielleicht irgendwann was.“ Offensichtlich ist er jetzt doch überzeugt: Ich bin wirklich ein Möchtegern-Kletterer mit null Vorerfahrung. Info — Terminabsprachen mit Günter Kolbe: Telefon 06322/66627. —25 der besten Folgen der „Tour de Pfalz“-Serie aus den vergangenen Jahren gibt es inzwischen als RHEINPFALZ-Buch (160 Seiten, ISBN 978-3-937752-21-1). Es ist für 9 Euro auch im RHEINPFALZ-Shop erhältlich. Internet: www.rheinpfalz.de. —Nächste „Tour de Pfalz“ am 22. August: Radeln im Bereich Neuburg – Lauterbourg.

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