Kolumnen Panik durch Botanik

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Zum 50. bekam ich einen Bildband geschenkt: alte Fotos (nicht von mir, von irgendwelchen Leuten), nachkoloriert und kombiniert mit neuen Kommentaren. Eine Kombi zeigt eine herbe Schönheit mit hochgeschlossener Bluse und Ich-bring-euch-alle-um-Blick, die ein verängstigtes rosa Blümchen im Klammergriff hält und in einer Art Gewächshaus steht. Dazu der Spruch: „Gardening, yoga, meditation, and still I want to slap someone!“ („Gartenarbeit, Yoga, Meditation, und ich möchte immer noch jemanden ohrfeigen!“). Da habe ich mal genau geguckt, ob es nicht doch ein Foto von mir ist, denn genau so ging’s mir diese Woche. Yoga und Meditation hab’ ich weggelassen, das Gärtnern reichte vollkommen.

Schotter raus, blühende Landschaften rein

Es ist immer noch Corona, der Schotter-Vorgarten war keine Augenweide, und Nabu, Grüne und andere Natur-Nervensägen (sorry, ich weiß im Grunde meines Herzens, dass ihr Recht habt) sitzen einem ja schon die ganze Zeit im Nacken von wegen blühende Wiesen, Bienen, Insekten und so weiter. Das kamen einige Aspekte zusammen, und sie ließen nur einen Schluss zu: Schotter raus, blühende Landschaften rein, wann, wenn nicht jetzt, kann ja nicht so schwer sein! (Doch. Ist es.)

Der Wille ist da, aber ich habe keine Ahnung

Ich kann unschöne Gärten sehr wohl von schönen unterscheiden, kann mich auch sehr erfreuen an Letzteren, sitze gerne darin, bewundere Farben und Düfte verschiedenster Wucherungen und steuere zum Beispiel auch im Urlaub gerne mal Gärten an, um zu sehen, wie die das dort so machen. ABER: Schöne Gärten anlegen kann ich nicht. Auch keine unschönen. Das war bisher auch nicht nötig. Ich muss ja nicht alles können, nur weil es mir gut gefällt. Ich mag es auch, wenn Menschen virtuos spanische Konzertgitarre spielen. Selbst lernen muss ich es deshalb nicht. Ich habe auch gar keine spanische Konzertgitarre.

Ausrasten geht auch ganz gut

Den Vorgarten aber haben wir, und als der Schotter erst mal weg war, musste da schnell was anderes rein. Da wir niemanden fanden, der sich unentgeltlich bereit erklärt hätte, aus dem staubigen Rechteck vorm Haus einen Garten Eden zu machen, mussten wir selbst ran. Prima, Gärtnern wird ja gemeinhin als beruhigende, entspannende Tätigkeit bezeichnet, bei der man sehr gut abschalten kann. Aber ich muss da widersprechen. Gärtnern kann auch eine nervenaufreibende und Kräfte zehrenden Tätigkeit sein, bei der man sehr gut ausrasten kann.

Ab durch die Dornenhecke

Das fängt in der Gartenabteilung des Baumarkts an, in der man zwischen 30 verschiedenen Sorten Erde, Rindenmulch und Hornmehl wählen soll, von den unendlich vielen Pflanzen mit ihren vielen Forderungen (braucht viel Wasser! keine direkte Sonneneinstrahlung! mehrmals im Jahr düngen! muss früh ins Bett, äh Beet!) ganz zu schweigen, und führt bis in den Garten der leider verstorbenen Mutter einer Freundin, in dem wunderbar blühende Sträucher und Stauden darauf warten, ausgebuddelt zu werden und eine neue Heimat zu bekommen. Leider haben sich rund um die Schönheiten mannshohe Dornenhecken und Brennnesseln breitgemacht, so dass sich die kurze Hose als gar nicht mal so gute Idee herausstellt. Man hätte es wissen können. Hat der Prinz sich in Shorts zu Dornröschen durchgeschlagen? Also.

Kein Feierabend mehr

Mit roten Quaddeln und blutigen Kratzern will sich so recht keine Entspannung einstellen, auch am Spaten lässt die Beruhigung auf sich warten. Zum Glück hat die Freundin mehr Erfahrung und eine Art botanischen Bolzenschneider dabei, mit dem sie kraftvoll Gänge ins Dickicht knackt. Nach zwei Stunden haben wir einige Wurzeln und Knollen freigelegt, jetzt würde ich eigentlich gerne Feierabend machen, aber nein, „das musst du zu Hause gleich einpflanzen, sonst geht das kaputt“, mahnt die Freundin. Wie soll man da abschalten?

Erst mal keine Glaubensfragen

Überhaupt, die Sorge um die neuen Familienmitglieder, sie wird viel zu selten erwähnt, wenn mal wieder jemand schwärmt, wie sehr doch die Gartenarbeit zu innerem Frieden führt. „Oh leck, die Pfingstrosen!“, war zum Beispiel heute Morgen beim Aufwachen mein erster Gedanke, und ich musste zwanghaft aus dem Fenster gucken, ob sie noch stehen. Sie standen, aber mit hängenden Köpfen. Äußerst beunruhigend. Was haben sie nur, was kann ich tun, mehr gießen, mehr düngen, mit ihnen sprechen, aber für welche Themen interessieren sich Pfingstrosen, vielleicht für Pfingsten, was aber, wenn sie nicht religiös sind?! Stress pur. Inzwischen geht es ihnen ein wenig besser. Wir haben übers Wetter gesprochen, ein unverfängliches Thema, wir kennen uns ja noch nicht so gut.

Die Bluse liegt bereit

Die innere Anspannung bleibt, und ich muss an dieser Stelle warnen: Sollten sich irgendwelche Schnecken, Blattläuse, Spinner oder sonstiges Viehzeug an meinen neuen Schützlingen vergehen wollen, ziehe ich mir eine hochgeschlossene Bluse an, setze meinen Ich-bring-euch-alle-um-Blick auf und mache keine Gefangenen. Da könnt ihr euch drauf verlassen!

Die Autorin

Sigrid Sebald (50) ist seit 2000 RHEINPFALZ-Redakteurin in Zweibrücken, wo sie mit Mann und Tochter auch lebt. Über die Beiträge für die „Zweibrücker Rundschau“ hinaus schreibt sie regelmäßig in der RHEINPFALZ-Sommererzählreihe sowie Weihnachtsgeschichten.

Die Kolumne

Christine Kamm und Sigrid Sebald schreiben abwechselnd in der Online-Kolumne „Ich sehe das ganz anders“ über die großen und kleinen Überraschungen sowie Absurditäten des Alltags. Hier finden Sie alle anderen Kolumnen.

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