Rheinpfalz Alltagsmanager: Perfektion ist langweilig

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Die Mama ist die perfekte Frau. Sie lebt ihren Perfektionismus jeden Tag aufs Neue – und zwar um die Mittagszeit. Dann hält sie ihr heiliges Schläfchen. Und wer schläft, der kann bekanntlich nichts falsch machen. Anders rum gesagt: Der ist einfach perfekt.

Zu hohe Ansprüche an sich selbst können einen mächtig unter Druck setzen – und krank machen. Aber mit einem übertriebenen Perfektionismus kann man auch umgehen lernen, sagen Experten.

Es ist schon merkwürdig, schreiben die Psychologinnen Christine Altstötter-Gleich und Fay Geisler in ihrem Ratgeber „Perfektionismus“: Perfektion ist in den Augen vieler etwas Wünschens- und Erstrebenswertes. Ohne Menschen, die Dinge verbessern, Fehler entdecken und Lösungen dafür finden, stünden wir zumindest technisch nicht da, wo wir heute stehen. Perfektionisten haben allerdings meistens keinen guten Ruf. Das sind doch die, die nie mit etwas zufrieden sind, denen man es nicht recht machen kann und die Ansprüche an sich und andere stellen, die kaum zu erfüllen sind. Wie entsteht Perfektionismus? Dieser Frage gehen Wissenschaftler erst seit einigen Jahrzehnten nach. Don Hamacheck unterschied 1978 zwischen „normalem Perfektionismus“ – hier legt ein Mensch mit hohen Ansprüchen an sich selbst das Hauptaugenmerk auf das, was ihm gelingt – und „neurotischem Perfektionismus“: Hier ist der Blick eher auf das gerichtet ist, was nicht gelingt. Eine ähnliche Unterscheidung machten Peter Slade und Glynn Owens 20 Jahre später: Positiver Perfektionismus ist von dem Wunsch getrieben, erfolgreich zu sein, negativer Perfektionismus von dem Wunsch, negative Konsequenzen zu vermeiden.

Betroffene leiden unter Versagensängsten

Ob man es nun neurotischen oder negativen Perfektionismus nennt – die Betroffenen leiden oft unter Versagensängsten und einem geringen Selbstwertgefühl. Zur Entstehung von Perfektionismus können laut Altstötter-Gleich und Geisler verschiedene Faktoren beitragen. Zum einen das Erbgut: In Zwillingsstudien wurde ermittelt, dass der genetische Einfluss bei etwa 30 Prozent liegt. Zum anderen das Elternhaus oder das Umfeld, in dem man aufgewachsen ist: Neigen Mutter oder Vater ebenfalls zu Perfektionismus und haben sie hohe Ansprüche an sich und ihre Kinder, kann sich das auf den Nachwuchs übertragen. Umgekehrt kann auch ein problematisches Elternhaus, in dem es etwa zu Vernachlässigungen oder Misshandlungen gekommen ist, ein Grund sein: In diesem Fall entwickeln Kinder hohe Standards, um sich vor Verletzungen – körperlich wie seelisch – zu schützen. Auch Ausgrenzung, Zurückweisung und Mobbing durch Gleichaltrige können eine Rolle spielen. Wie viele Menschen an Perfektionismus leiden, dazu gibt es keine Zahlen, erklärt Christine Altstötter-Gleich, die an der Universität Landau lehrt und forscht. Psychologen vermuten allerdings, dass die Anzahl der Betroffenen steigt. Der Grund: Perfektionismus sei oft mit anderen psychischen Belastungen wie Depression und Burn-out verknüpft – und hier meldeten die Krankenkassen in den vergangenen Jahren immer mehr Krankmeldungen. „In den meisten Studien zeigen sich keine Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was die Anzahl der Betroffenen angeht. Frauen neigen allerdings eher dazu, zuzugeben, dass sie unter Perfektionismus leiden. Das kennt man ja auch von anderen psychischen Problemen“, so Altstötter-Gleich.

Perfektionismus nimmt mit zunehmendem Alter ab

Erste Anzeichen von Perfektionismus zeigen sich laut der Psychologin oft mit dem Eintritt in die Leistungsgesellschaft, also in der weiterführenden Schule, im Studium oder beim Start ins Berufsleben. Mit zunehmendem Alter nehmen perfektionistische Tendenzen häufig wieder ab – entweder, so Altstötter-Gleich, weil die Betroffenen aufgegeben haben, also bestimmte Dinge aus Angst vor Scheitern gar nicht erst in Angriff nehmen. Oder weil sie mehr Erfahrungen mit dem Scheitern gemacht haben und es daher weniger fürchten. Hohe Ansprüche, darunter leiden Perfektionisten nicht nur im Berufsleben, sondern meist auch in ihrer Freizeit. Abschalten, ein Hobby, Musik oder Essen zu genießen, falle ihnen mitunter schwer, meint Altstötter-Gleich. Müßiggang, mal nichts zu tun, komme ihnen wie verlorene Zeit vor, in der man ja noch etwas hätte erledigen können. Wie kann man seinen Perfektionismus auf einen gesundes Maß herunterschrauben? Altstötter-Gleich und Geisler geben in ihrem Ratgeber ein paar Tipps: In einem ersten Schritt sollte man sich die positiven wie negativen Seiten seiner Verbesserungswut notieren – und abwägen, was es einem bringen könnte, das eine oder andere zu verändern.

Ein besonderes Tagebuch kann helfen

Da Perfektionisten zu Schwarz-Weiß-Denken neigen, könne ein besonderes Tagebuch helfen, die Welt mehr in Grautönen wahrzunehmen: Zunächst schreibt man seine spontane Einschätzung des Tages auf, dann teilt man die Ereignisse des Tages in drei Kategorien ein – gelungen, nicht gelungen, neutral. Und dann schaut man noch einmal auf den Tag zurück. Für die Beschreibung dessen, was gut gelaufen ist, sollte man sich aber doppelt so viel Zeit nehmen wie für die schlechten Erlebnisse. Eine weitere Methode, die helfen kann, ist, die Ereignisse, die man als Misserfolg wertet, näher unter die Lupe zu nehmen: also aufzuschreiben, wie man sich in einer Situation gefühlt hat – etwa wütend, traurig, enttäuscht oder frustriert – und begründen, warum man sich so gefühlt hat. Ziel beider Methoden ist es, sich im Falle eines Scheiterns nicht aus der Bahn werfen zu lassen, sondern motiviert zu bleiben. Wer sich in seinem Alltag stark eingeschränkt fühlt, dem empfehlen die Autorinnen, sich professionelle Unterstützung beim Therapeuten zu suchen – auch wenn ihnen bewusst ist, dass gerade perfektionistische Menschen ungern um Hilfe bitten. Viele warten zu lange, sagt Christine Altstötter-Gleich, und holten sich erst Unterstützung, wenn weitere Probleme wie etwa ein Burn-out dazukommen. „Jeder Mensch darf es sich wert sein, sich helfen zu lassen.“

Auch Teilerfolge erkennen und akzeptieren

Eigenschaften und Verhaltensweisen, die häufig bei Menschen zu finden sind, die wegen Perfektionismus die Hilfe des Psychologen suchen, sind laut den Expertinnen unter anderem: Man neigt zu Aussagen wie „Ich sollte“ oder „Ich muss“, man rechnet immer mit dem Schlimmsten, man tendiert dazu, sich selbst als „Versager“ oder „Idiot“ zu beschimpfen und an sich selbst höhere Maßstäbe anzulegen als an andere. Wie man auf eine Situation reagiert, hängt in der Regel nicht nur von dem ab, was tatsächlich passiert. Was wie aufgenommen und eingeschätzt wird, das hat vor allem zu tun mit der eigenen Wahrnehmung und den persönlichen Erfahrungen. Wer hohe Ansprüche an sich selbst hat, wird in einer entsprechenden Situation darauf achten, ob er diesen Ansprüchen auch gerecht wird. Bei der Kognitiven Verhaltenstherapie, einer Behandlungsmethode, wird überprüft, wie man Situationen wahrnimmt, interpretiert und bewertet und nach Alternativen dazu gesucht. Die Perfektionisten sollen lernen, flexibler zu werden und mehrere Möglichkeiten zu finden, um ihre Ziele zu erreichen. Außerdem will man sie dazu bringen, auch Teilerfolge zu erkennen und zu akzeptieren.

Zum Weiterlesen

Christine Altstötter-Gleich/Fay C.M. Geisler: „Perfektionismus. Mit hohen Ansprüchen selbstbestimmt leben“; Balance Verlag; 156 Seiten; 16 Euro
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