Kultur Südpfalz Zur Eindeutigkeit verschlankt

Mit einem ansehnlichen Kraftakt hat das Karlsruher Schauspiel die neue Saison begonnen. Hermann Hesses vielschichtiger, verrätselter Roman „Das Glasperlenspiel“ als multimediales Spektakel mochte zwar nicht alle Erwartungen erfüllen, bot aber einen anregenden, facettenreichen Theaterabend und war als Auftakt zur neuen Spielzeit durchaus vielversprechend.

Gewiss, wer das Werk erfassen will, der muss den Roman lesen – rund 600 Seiten. Die Karlsruher Bearbeitung durch Martin Nimz und Konstantin Küspert, die mit gerade mal drei Stunden Spieldauer auskommt, muss da notwendigerweise Verkürzungen und Begradigungen vornehmen. Das gelingt der Fassung in ihrem Streben nach Vereinfachung erstaunlich gut, auch wenn sich nun in der resoluten Verschlankung manche Volte nicht mehr ganz erschließt, manche Entwicklung sprunghaft wirkt, vor allem die spirituellen Bezüge getilgt und die vertrackte Vielschichtigkeit des Romans szenisch vereindeutigt werden. Hesses „Glasperlenspiel“ übt subtile Zeitkritik aus der Perspektive einer utopischen Zukunft. Der Protagonist Josef Knecht wird in der Bildungsprovinz Kastalien Meister des Glasperlenspiels, das als Inbegriff eines hermetischen Systems von abgehobener, ritualisierter Geistigkeit in bewusst gepflegtem Kontrast zum „Leben“ steht und in dem Triebe, Gefühle und Empathie „meditativ gebändigt“ sind. Nicht ohne Grund erklingt in Karlsruhe bei Knechts ritualisierter Aufnahme in den kastalischen Klosterorden Mahlers elegisches Rückert-Lied „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ – ein schöner Einfall. Allmählich jedoch dämmert es Knecht, dass er im weltabgewandten Elfenbeinturm fern von Besitz und Liebe seine elementaren Bedürfnisse verrät und dass das „feuilletonistische Zeitalter“, in dem er seinen Aufstieg schafft, geprägt ist von „resignierter Unfruchtbarkeit“. Als Knecht aus dem kastalischen System ausscheidet, da scheitert er und ertrinkt in einem Bergsee. Er versagt an der Natur. Deutlicher als in diesem lakonischen Schluss kann das Unvermögen der Elite nicht ausgedrückt werden. Wer will, mag darin auch ein Gleichnis über die Machtlosigkeit der abgehobenen Kultur gegenüber den Forderungen von Gesellschaft und Politik erkennen. Die Karlsruher Aufführung kleidet diese Botschaft in einprägsame, bisweilen etwas unvermittelte Bilder und gönnt sich bisweilen Abschweifungen in eine unnötig betonte Heutigkeit – etwa in flapsigen Text-Zutaten und Parodien, aber auch in trivialen Momenten einer aufgesetzten Homosexualität, ohne die sich das Theater die zölibatäre kastalische (und katholische) Männerwelt offenbar nicht vorstellen kann und die die Inszenierung überdies bei der Begegnung des alten Knecht mit dem Knaben Tito ebenso aufdringlich wie grundlos behauptet. Solche Schwächen werden jedoch durch die optische Schlüssigkeit und die suggestive Sogwirkung der grandiosen Bühnenlandschaft aufgewogen, für die Sebastian Hannack (in glücklicher Zusammenarbeit mit dem ZKM) das Kleine Haus des Theaters in einen steil abfallenden Krater verwandelt, an dessen oberem Rand ringsum das Publikum sitzt und dessen weiße Wände, in denen sich die klinische Sterilität des kastalischen Systems abbildet, durch Projektionen und Videofilme belebt werden. Für die Schauspieler bietet diese wirkungsvolle, aber schwer begehbare Installation erhebliche physische Schwierigkeiten. Zwischen Klettertouren und Kamerapositionen bleibt ihnen für vertiefende Gestaltung ihrer meist plakativen Rollen wenig Gelegenheit, und doch siegt die ehrgeizige Theatralität der Aufführung über ihre notwendigen darstellerischen Defizite. Immerhin bringen sich Veronika Bachfischer und Berthold Toetzke, die spielend und kommentierend moderieren, durch nachhaltige Präsenz in Erinnerung, Hannes Fischer als alter Musikmeister setzt bleibende Akzente, und als (junges) Kontrastpaar Knecht/Plinio wirken Jonathan Bruckmeier und Maximilian Grünewald im betont dialogischen ersten Teil wesentlich prägnanter als ihre gealterten Pendants (André Wagner und Frank Wiegand) nach der Pause, wenn die ausführlichen programmatischen Tiraden des Textes den Fluss der Aufführung dehnen. Insgesamt verdient dieses vor allem szenisch überzeugende „Glasperlenspiel“ bei allen Einwänden doch hohen Respekt vor einer künstlerisch und dramaturgisch bemerkenswerten Roman-Umsetzung. Info Vorstellungen im Kleinen Haus des Staatstheater sind vom 11. bis 20. Juni, www.staatstheater.karlsruhe.de

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