Rheinpfalz Verbotene Liebe

Das Taj Mahal ist die schönste steinerne Liebesbezeugung der Welt. Doch sich ineinander zu verlieben, kann für Inder lebensgefährlich sein. Wer seinen Partner ungeachtet der Schranken von Kaste, Religion oder Familie wählt, dem droht der Tod. Von Gabriele Venzky

Als das Maratha Mandir Kino in Mumbai ankündigte, nach 1009 Wochen den Film „DDLJ“ abzusetzen, weil nur noch höchstens 200 Zuschauer pro Vorstellung kämen, ging ein Aufschrei der Empörung durchs Land. Denn Indien ist geradezu süchtig, sich an schmalzigen Bollywood-Romanzen zu berauschen. Weil sie zeigen, wovon alle träumen: eine Love Marriage, eine Liebesheirat. „DDLJ“ steht exemplarisch dafür, wie so eine ablaufen sollte. In Indien weiß jeder, was DDLJ heißt: „Dilwale Dulhaniya Le Jayenge“, zu Deutsch: „Die Beherzten werden die Braut mitnehmen“. Da verliebt sich Bollywoods ewig junger Held Shah Rukh Khan in ein junges Mädchen, das von der Filmdiva Kajol gespielt wird. Leider sieht die Zukunft für die beiden nicht gut aus: Der Vater der Angebeteten hat sie längst einem anderen versprochen, wie das so üblich ist in Indien. Doch Khan und Kajol machen sich aus dem Staub, tanzen und singen sich durch die Schweizer Alpen – und kriegen sich am Ende, weil die wahre Liebe siegt und die Eltern ein Einsehen haben. Schluss, kein Kuss, weil das auf der Leinwand wie in der Öffentlichkeit verboten ist. Aber: Liebesheirat. Alle sind glücklich, vor allem die Zuschauer. Damit das so bleibt, hat das Kino eingelenkt: „DDLJ“ wird weiter gezeigt, jeden Tag um 11.30 Uhr, eine Karte kostet umgerechnet 30 Cent. Im wirklichen Leben sieht es freilich ganz anders aus, wenn zwei junge Menschen sich ineinander verlieben, vor allem, wenn sie verschiedenen Religionen oder – noch schlimmer – verschiedenen Kasten angehören. Der Wunsch, zusammenzubleiben, zu heiraten, ist oft lebensgefährlich. Da werden Satish und Sarita, die zwar nicht miteinander verwandt sind, aber derselben Unterkaste angehören – was nach nordindischer Tradition so viel wie Blutsverwandtschaft bedeutet – aus der Großstadt zurück ins Dorf gelockt, unter dem Vorwand, alles sei vergeben und vergessen. Doch dort werden beide geköpft, unter den Blicken von 250 schweigenden Dorfbewohnern. „Na ja“, kommentierte die Polizei das Geschehen, „immerhin ging es um die die Ehre der Familie. Aber sie hätten sie vielleicht nicht auf so grausame Weise umbringen müssen. Gift wäre sicher besser gewesen.“ Weit mehr als 1000 Paare werden jedes Jahr in Indien das Opfer sogenannter Ehrenmorde, weil sie versuchen, den rigiden Kastenregeln und den jahrhundertealten dörflichen Traditionen durch die Flucht in eine Großstadt zu entkommen. Selbe Unterkaste: keine gute Idee. Doch auch verschiedenen Kasten anzugehören, kann für Liebende lebensgefährlich sein, wie für Nidhi, die sich mit Dharminder eingelassen hatte. Sie wurde gleich erschlagen, er zuerst gefoltert. Die Todesstrafe hatte zuvor der Kastenrat der Clan-Ältesten, der Khap Panchayat, verhängt. Immer wieder sind es diese selbsternannten Räte, die über junge Liebende ihr Urteil fällen – diese Woche erst ordnete einer die Gruppenvergewaltigung zweier Mädchen an (wir berichteten). Ist eine Ehe nicht vorher nach allen Regeln der Tradition arrangiert, ist das Schicksal der Verliebten oft ein grausiges. So war Mitte Mai ein 35-Jähriger mit einer 15-Jährigen durchgebrannt. An dem Altersunterschied störte sich kaum jemand, das ist üblich in Indien. Nur: Die Verbindung war nicht vereinbart worden. Also wurden beide verbrannt. Fast noch Schlimmeres – auch wenn das kaum möglich ist – spielt sich ab, wenn das Paar unterschiedlichen Religionen angehört, also beispielsweise sie eine Hindu-Frau ist und er Muslim. Dann folgen drakonischste Bestrafungen, von der angeordneten Gruppenvergewaltigung der Frau bis zur anschließenden rituellen Massakrierung der so unglücklich Liebenden. Was sogar in regelrechten bürgerkriegsähnlichen Straßenschlachten zwischen den betroffenen Glaubensgemeinschaften enden kann, so wie kürzlich in der heiligen Stadt Mathura: Häuser und öffentliche Institutionen in Flammen, Ausgangssperre, Einsatz des Militärs. Nun gibt es diese erschütternde Praxis in Indien seit Jahrhunderten. Allerdings nehmen diese sogenannten Ehrenmorde in jüngster Zeit zu. „Das liegt daran, dass sich die kulturellen Normen ändern, aber die ältere Generation alles beim Alten halten will“, sagt Meenakshi Ganguly von Human Rights Watch. „Überall gibt es nun Fernsehen, die Kinder gehen aufs College, und in den Städten ändert sich sowieso alles sehr schnell jetzt.“ Deshalb gibt es so gut wie niemanden, der jungen Leuten hilft, die sich nicht dem etablierten Heiratsdiktat unterwerfen wollen und fliehen. Zwar existieren seit 2010 die „Liebes-Kommandos“, eine Organisation mit landesweit mehr als 10.000 Freiwilligen, die den Durchgebrannten mit Essen, Unterkunft und Rat helfen, aber kostenlos ist das nicht. Kostenlos ist auch eine besondere Form der Zivilehe nicht, die eigens für solche Fälle vorgesehen ist. Sie ist sogar so teuer, dass sie sich nur Mitglieder der städtischen Eliten leisten können. Damit bleibt die Zahl der Liebesheiraten äußerst gering. Fast alle Ehen werden von den Eltern arrangiert und vorher auf etwaige Stolpersteine abgeklopft. In den Städten wird den jungen Menschen zwar zunehmend ein Mitspracherecht eingeräumt, aber auf dem Land, wo 75 Prozent der Inder leben, werden immer noch mehr als die Hälfte der Mädchen als Minderjährige mit einem häufig viel älteren Mann vermählt, den sie an ihrem Hochzeitstag zum ersten Mal sehen. 40 Prozent aller Kinderhochzeiten weltweit finden in Indien statt. Immerhin haben diejenigen Mädchen eine Chance, erst nach dem gesetzlich vorgeschriebenen Alter von 18 Jahren verheiratet zu werden, die länger in der Schule bleiben dürfen, wenigstens bis zur 10. Klasse oder gar bis zum Abitur. Aber es wird wohl noch viele Jahre dauern, bis das auch auf dem Land akzeptiert wird. Immerhin: Es gibt immer wieder kleine Hoffnungsschimmer. Nandita und Arpit beispielsweise verliebten sich vor eineinhalb Jahren, als beide als Computer-Ingenieure bei derselben IT-Firma in Bengalore arbeiteten. Das Problem: Die 24-jährige Nandita gehört der obersten Brahmanen-Kaste an, Arpit, 32 und sehr dunkelhäutig, ist ein Dalit, ein „Unberührbarer“. Für Nanditas Mutter, eine Ärztin, war eine Ehe der beiden unvorstellbar. Die Verliebten planten die Flucht ins gut 1000 Kilometer entfernte Bhubaneswar. Nanditas Mutter glaubte, als Angehörige einer hohen Kaste wie üblich auf die Hilfe der Polizei setzen zu können, um die Verbindung der beiden zu lösen. Doch diesmal geschah das Gegenteil. Unter Polizeischutz wurden Nandita und Arpit zum Gericht gebracht, um – ohne weitere Bezahlung von windigen Advokaten – die notwendigen Formalitäten zu erledigen. Dann legten die Polizisten aus Bhubaneswar zusammen und spendierten den beiden sogar noch eine richtige Hindu-Hochzeit im Tempel. Denn, so der Polizeichef: Das Gesetz erlaube jedem Volljährigen aus eigener Entscheidung zu heiraten, egal welcher Kaste, welcher Religion oder welchem Clan er angehört.

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