Rheinpfalz Kommentar: Ministerium will Hartz-IV-Bezieher mit 63 in Frührente schicken

Das sozialdemokratisch geführte Bundesarbeitsministerium will die Hartz-IV-Regeln vereinfachen. Dabei geht es vor allem um Leistungskürzungen. Und um die Stimmen der Mittelschicht.

Die Meldung ging fast unter: Langzeitarbeitslose sollen, sobald sie 63 Jahre alt sind, vom Jobcenter leichter verrentet werden können – gegen ihren Willen und obwohl sie deutliche Abschläge hinnehmen müssen. Wirken die Betroffenen nicht mit, drohen Leistungskürzungen. Das ist ein Vorschlag zur „Rechtsvereinfachung“ beim Hartz-IV-Bezug, den Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegt hat und der im Bundestag beraten wird, bisher still und leise. Es trifft auch Kinder. Leben deren Eltern getrennt und erhält ein Elternteil Hartz IV – meist ist das die alleinerziehende Mutter –, sollen für den Leistungsbezug des Kindes nur Tage gelten, an denen es sich auch bei ihr aufhält. Papa-Zeit wird bei Mama rausgerechnet. Als müsste die Mutter für das Kinderzimmer nur tageweise Miete zahlen. Als bekäme sie Spielzeug fürs halbe Geld, weil es nur die halbe Zeit genutzt wird. Als gäbe es keine Debatte über Chancengerechtigkeit, Kinderarmut, Altersvorsorge. Nahles sagt, es gehe um den Abbau von Bürokratie. Das ist Augenwischerei. In Wahrheit geht es um den Abbau von Leistungen. Denn wie, bitteschön, passt zusammen, die einen (arbeitslos) zwangszuverrenten, während die anderen (beschäftigt) schaffen sollen bis ultimo? Wo soll Bürokratie wegfallen, wenn kontrolliert werden muss, wo sich bedürftige Kinder wann aufhalten? Wie soll das billiger sein? Nein, dahinter steckt gewiss nicht behördliche Sparsamkeit, sondern ein Menschenbild, das den Bezieher von Sozialleistungen als Schmarotzer abstempelt und nicht als jemanden begreift, der auf Unterstützung angewiesen ist. Als jemanden, der etwas erhält, was er im Grunde nicht verdient. Bei windigen Finanzjongleuren ist die Politik weit weniger pingelig. Die Daumenschrauben anziehen bei denen, die aus dem Topf rausholen, bringt den Beifall und die Stimmen derjenigen, die einzahlen, so lautet die zynische Gleichung. Und das bei einer Partei, deren Chef gerade erst wieder über „soziale Gerechtigkeit“ als ach so wichtigen Markenkern räsonierte. Das erstaunt. Und kann eigentlich nur eines bedeuten: Dass auch die SPD die schwächsten Glieder der Gesellschaft abgeschrieben hat.

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