Rheinpfalz Grenzfälle

Besucht man die vier Ecken der Pfalz, ihren nördlichsten, südlichsten, östlichsten und westlichsten Punkt, dann besucht man Übergangszonen: Dialekte gehen im Grenzland ineinander über, Handelswege, Identitäten und Befindlichkeiten. Und manchmal wandern sogar ganze Orte.

Man sieht es dem Berg von außen nicht an, aber: Der Berg ist hohl. Löchrig wie ein Schweizer Käse, um die 100 Kilometer Stollen ziehen sich durchs Massiv. Günter Schneider war mal drin, in den Grubengängen, ist um die fünf Jahre her, Führer war damals ein ehemaliger Steiger mit dem Spitznamen „Gruben-Willy“. „Mach’ ich nicht mehr“, sagt Schneider, Gründer und Leiter des „Bergmannsbauern-Museums“ im nahen Breitenbach und verzieht ein wenig das Gesicht, in Erinnerung an klaustrophobische Enge in dunklen Schächten, durch die man sich vorsichtig winden musste. Einen Vorgeschmack bekommt man schon bei der Anfahrt zum hohlen Berg – die ist nämlich ebenfalls ziemlich gewunden: Von Breitenbach im äußersten Westen des Landkreises Kusel fährt man auf schmalen Landstraßen U-förmig ums rund 400 Meter hohe Massiv, ziemlich unvermittelt taucht ein Hinweisschild „Grube Labach“ auf. Man steht hier mitten im Wald, weiß sich aber immerhin in Gesellschaft: Linker Hand ein Ausflugslokal, einige Häuser entlang des Weges, der sich in den winterlichen Forst schneidet. Von der Grube selbst ist allerdings nichts zu sehen, der Eingang mit Geröll versiegelt. Dreht man sich um knappe 90 Grad vom Berg weg, dann blickt man immerhin in Richtung der westlichsten Ecke der Pfalz: Einige Meter weiter beginnt das Saarland. Und weil alles mit allem zusammenhängt und im Grenzland sowieso, ist das Saarland im übertragenen Sinne der Grund dafür, dass der Berg Löcher hat. Abgebaut hat man bei Breitenbach wie anderswo in der Westpfalz nämlich Kohle von den „Ausläufern des Saarkohlebeckens“, so Günter Schneider. Die Kohleflöze, die im Lothringischen beginnen und sich unter Völklingen und Saarlouis, Saarbrücken und Neunkirchen Richtung Westen ziehen, sie haben hier eine Dicke von „nur noch 30 Zentimetern“, so Schneider. Was dann auch den Namen des schön aufgemachten Bergmannsbauern-Museums erklärt: Westpfälzische Bergleute waren oft Nebenerwerbsbauern, im Wortsinne mangels Kohle. Um die zwei Drittel der Werktätigen aus Breitenbach haben 1938 immerhin als Bergleute gearbeitet – die meisten allerdings in den ergiebigeren Saar-Kohlegruben. Was dann zu intensivem kleinen Grenzverkehr geführt hat – und der hat sicher auch das eher freundlich gemeinte Frotzeln befeuert, das zwischen Pfälzern und Saarländern so üblich ist: „Das Wort ,Saarländer` nehmen wir eher selten in den Mund ...“, sagt Schneider grinsend, in singendem saarpfälzischen Dialekt. Ist ja nur Spaß, man weiß ja, was man den Nachbarn verdankt: „Wenn das Saarland nicht wär`, wir wären ganz arme Menschen“, sagt Schneider. Der 80-Jährige kommt selbst aus einer Bergmannsfamilie, „meinen Großvater hat`s in Bexbach totgeschlagen“, sagt Schneider, sein Vater war in der Grube Frankenholz. „Wir waren drei Buben in der Familie – keiner wollte in den Bergbau.“ War rückschauend wohl eine richtige Entscheidung: Nach dem Zweiten Weltkrieg werden die letzten pfälzischen Gruben nach und nach dichtgemacht, zu unrentabel. 1953 ist auf der Labach nach gut 200 Jahren Kohleförderung Schicht im Schacht. Die Schürfrechte in Labach hat seit 1943 und laut Schneider bis heute übrigens die Ludwigshafener BASF. Hängt alles mit allem zusammen, im Grenzland. Besucht man die nördlichste Ecke der Pfalz, dann bekommt man eine Ahnung davon, wie fließend und wie fragil Regionalbewusstsein sein kann – gerade in der Pfalz, diesem historisch gesehen eher selten klar definierten Konglomerat von Territorien. Die nördlichsten Ecken der Pfalz sind zwei kleine Zipfel des Donnersbergkreises, die in den Kreis Bad Kreuznach hineinragen, einer davon etwas südlich der Burgruine Montfort. Die Burg liegt auf dem Gebiet der Gemeinde Hallgarten, und die war bis zur Gebietsreform 1969 genauso pfälzisch wie Duchroth – als Teil des Kreises Rockenhausen. Wer heute über Bad Kreuznach zur Burg gelangen will, benutze die L 235, eine im Sommer sicher höchst idyllische Strecke, die teilweise direkt neben der Nahe verläuft. Man quere bei Oberhausen eine schmale, kopfsteingepflasterte Nahe-Brücke, die „Luitpold-Brücke“ heißt, weil auch Oberhausen mal pfälzisch war, als Teil der bayerischen Rheinpfalz. Man biege in Duchroth links ab, verfahre sich damit hoffnungslos und frage dann den freundlichen Mann mittleren Alters nach dem Weg, der neben der Schafherde auf dem Hügel Holz macht. Durch den nahen Wald folge man dem Wanderweg, auf dem man eigentlich gar nicht fahren darf, tauche eine Serpentinenstraße ins Tal zum „Montforter Hof“ ab – und hat dann endlich, nach einem kurzen, aber ziemlich steilen Aufstieg zu Fuß die wirklich schöne Ruine der Ganerbenburg Montfort vor sich. Einer Burg also, in der gleichsam eine mittelalterliche Eigentümergemeinschaft auf engem Raum zusammengelebt hat, man kann die Reste der einzelnen Wohnkomplexe im Burginnenhof noch gut studieren. Steigt man auf die Reste der südlichen Mantelmauer, dann blickt man Richtung Niedermoschel, Richtung Donnersbergkreis, Richtung Pfalz. Jedenfalls nach dem jetzigen Stand: Im Zuge der nächsten Stufe der Kommunal- und Verwaltungsreform könnten sich im Norden die Grenzen einiger Gebietskörperschaften schon wieder ändern. Was 1969 ja schon einmal und beileibe nicht zum ersten Mal passiert ist. Kein großes Ding für Duchroth, meint jedenfalls Bürgermeister Porr: „Die Gebietsreform war ganz unproblematisch“ – weil die wirtschaftlichen Beziehungen der Gemeinde sowieso Richtung Nordosten ausgerichtet seien. „In Bad Kreuznach sind die Arbeitsplätze, in Mainz ist die Uni, in Frankfurt ist der Flughafen.“ Und jetzt, gegen Ende des Gespräches, fällt ihm auch noch was zum Thema „regionale Identität“ ein, der Ersatzausdruck für „Pfälzer“, sozusagen. „Wir sind, wenn Sie`s aktuell sehen, Rhein-Main“, sagt Porr. „Aber es entwickelt sich ja auch vieles – ist alles im Fluss.“ Dass alles fließt, muss man Gerd Balzer nicht gesondert erklären – der lebt nämlich an einem Ort, an dem einfach deshalb alles im Fluss ist, weil alles am Fluss ist: „Auf der Merian-Radierung von 1622“, Balzer deutet auf eine der Reproduktionen an der Wand des Neuburger Rheinaue-Museums, „da sieht man, dass der Ort total von Wasser umgeben ist.“ Das mit der Insellage hat sich bis heute gehalten: Der Dialekt, den man in Neuburg im äußersten Süden des Landkreises Germersheim spricht, unterscheidet sich deutlich von denen in den Nachbardörfern – weil er einen ungewöhnlich starken Einschlag des Alemannischen zeigt. Was damit zu tun hat, dass Neuburg im 16. Jahrhundert gleichsam die Seiten gewechselt hat – von der rechten auf die linke Rheinseite. Die Ausstellung im schönen Rheinaue-Museum zeichnet sie nach, die Reise der ehemaligen kurpfälzischen Zollstation Neuburg vom rechten Rheinufer zum linken: Zwischen 1592 und 1595 bahnt sich der Rhein im Osten der Ansiedlung ein neues Bett – und macht Neuburg zunächst zur Insel mitten im Strom, im Osten der neue Hauptlauf, im Westen der Altrhein. Weil jene Insel durch die Strömungserosion immer mehr angefressen wird, beschließt man nach dem 30-jährigen Krieg, den Ort zu verlegen, in Richtung des linksrheinischen Hochufers. Und da liegt er heute noch, mit eigenem Dialekt und mehrheitlich protestantisch in einer mehrheitlich katholischen Gegend – weil mit den Menschen auch die Konfession das Ufer gewechselt hat. „Eigentlich gibt es hier eine dreifache Insellage“, sagt Balzer. „Räumlich, konfessionell und mundartlich.“ Das mit der Insellage hat sich gehalten, und das mit der Insellage ist vorbei, nahe dem südlichsten Punkt der Pfalz, der gleichzeitig der östlichste Frankreichs ist. Nach dem Fall der innereuropäischen Grenzen ist das Grenzland kein Grenzland mehr: Der Mountain-Biker, der einen auf dem Deichweg Richtung französischer Grenze fast von hinten umsemmelt, entschuldigt sich auf Deutsch mit elsässischem Einschlag. Jenseits der unsichtbaren Demarkationslinie Hinweistafeln auf die Sehenswürdigkeiten im Département Bas-Rhin, davor die Zeichen des grenzüberschreitenden Zweckverbandes Pamina. Drumherum ein winterlicher Auenwald, der sich in seiner französischen Variante nicht bedeutend von der in Deutschland unterscheidet. Der wirklich südlichste Punkt der Pfalz liegt übrigens knapp hundert Meter weiter. Im Fluss, wie alles. Suchte man ein Kontrastprogramm zum stillen Südpfälzer Auenwald, dann wäre das hier keine schlechte Stelle: Gegenüber von Altrip, auf der Mannheimer Seite, beherrscht das Großkraftwerk die Szenerie, weiße 200-Meter-Schlote vor grauem Winterhimmel. Die Straße macht hinter dem Rheindeich eine scharfe Linkskurve Richtung Altriper Rheinfähre. Zöge man an der Kurve eine gerade Linie Richtung des Werksgeländes von „Schrott Wetzel“ auf einer Landzunge des Mannheimer Rheinauhafens, dann hätte man den östlichsten Punkte der Pfalz im Visier: Der liegt in der Flussmitte, da, wo die Landesgrenze zwischen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verläuft. Und weil in genau dem Moment das Rheinschiff „Papagena“ unter Mannheimer Flagge vorbeifährt, bekommt man zur Grenzerfahrung auch noch einen Gratis-Crashkurs über Binnenschifffahrt und Transportlogistik. Die „Papagena“ transportiert „größtenteils Kies“, so Thomas Kanzler vom Mannheimer Betonproduzenten „TBS Rhein-Neckar“, dem Eigner des Schiffes. Braucht man gerade keinen Kies zur Betonproduktion, dann verchartert man die Frachtkapazitäten der Papagena – und fährt dann laut Kanzler vor allem Schrott. Der in Mannheim offensichtlich gut läuft: „Schrott Wetzel“, dessen Firmenlogo hinter der passierenden „Papagena“ gerade wieder auftaucht, gilt als einer der größten deutschen Schrottverwerter, was auf den Mannheimer Firmengeländen zerkleinert, zerschreddert und zerdengelt wird, geht oft via Schiff in die ganze Welt. Hängt halt doch alles mit allem zusammen. Zumal im Grenzland.

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