Rheinpfalz Gene, das Genie

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Pilot, Polizist, Frauenheld und Meister der Selbstinszenierung: Eugene Roddenberry gilt als Erfinder und Macher von Star Trek, der Mutter aller Weltraum-Serien. Trekkies nennen seinen Namen mit Ehrfurcht – dabei hat Roddenberry gnadenlos abgestaubt, wo es ging.

In der wirklichen Welt gibt es den Eisernen Vorhang, herrscht Angst vorm Dritten Weltkrieg, Rassendiskriminierung und die Menschheit übt noch, um wenigstens den Mond zu erreichen. Doch in den Desilu-Studios in Hollywood wird die Zukunft inszeniert: Dort düst ein Raumschiff mit einer Multikulti-Besatzung durchs All, „um fremde Welten zu entdecken, unbekannte Lebensformen und neue Zivilisationen“. So etwas konnte es nur in den 1960ern geben. Und mittendrin: der Schöpfer der Weltraumserie, Gene Roddenberry. Dass „Star Trek“ überhaupt in Serie ging, ist seiner Idee zu verdanken – und der Opferbereitschaft von Autoren, Produzenten und Schauspielern. Vorschläge nahm der Guru gerne an, schrieb seinen Namen darunter und verdiente damit massenhaft Geld. Aber der Reihe nach: Eugene Roddenberry kommt am 19. August 1921 in El Paso, Texas, zur Welt. Die Wirtschaftslage ist schlecht, die Familie zieht nach Kalifornien, wo Roddenberry mit seinen beiden jüngeren Geschwistern aufwächst. Er liebt Fantasy-Romane und Comics. Nach dem College meldet er sich 1941 für die US Airforce, die Flugprüfung hat er bereits vorher gemacht. „Wenn du in ein Flugzeug steigst und abhebst, dann findest du dich in einer wunderbaren, dreidimensionalen Welt wieder, in der du dich in jede Richtung bewegen kannst – es gibt kein aufregenderes Gefühl“, erzählt Roddenberry einmal. Er wird zu einer Bomberstaffel nach Hawaii versetzt, fliegt 89 Einsätze und übt sich nebenbei im Schreiben von Gedichten und Songs. Sogar die Hymne der Bomberstaffel soll auf sein Konto gehen – soll. Bei Roddenberry ist das mit der Wahrheit so eine Sache. Einen Fehlstart mit einer B-17 überlebt er knapp, der Bomber geht in Flammen auf. „Die Stärke einer Zivilisation wird nicht gemessen an ihrer Fähigkeit, Kriege zu führen, sondern vielmehr an ihrer Fähigkeit, sie zu vermeiden“, wird er später sagen. Mit 22 Jahren ist er für die Air Force als Pilot zu alt – untersucht aber noch einige Zeit für die Luftwaffe Flugunfälle und Abstürze. Das Thema lässt ihn nicht los: Nach dem Krieg heuert er als Pilot bei Pan Am an, zwei Jahre später ist er Offizier auf dem Pan-Am-Flug 121 von Karachi nach Istanbul. Die Lockheed kracht in die syrische Wüste, die meisten der Passagiere sterben – aber Jahre später entsteht die Legende, Roddenberry habe die Überlebenden aus dem brennenden Wrack geholt. Roddenberry korrigierte das nie. Einer guten Geschichte kann er einfach nicht widerstehen. Vor allem, wenn sie ihn betrifft. 1948 kündigt Roddenberry bei Pan Am und versucht sich als Autor – um festzustellen, dass bei den Verlagen kein Geld mehr zu verdienen ist. Dem Fernsehen gehört die Zukunft, aber in der Branche hat Roddenberry keine Erfahrung. Sein Bruder verschafft ihm einen Job beim Los Angeles Police Department, dem LAPD. Sein Talent zahlt sich aus und er schreibt Reden für den Polizeichef. Die später kolportierte Geschichte, Roddenberry sei ein Cop in LA gewesen, sie stimmt nicht. Doch sie hilft ihm: Schließlich schreibt er inzwischen Entwürfe für Polizeiserien, da kommt so eine Legende sehr gut an. Mitte 1956 verlässt Roddenberry die Polizei, das Schreiben von Fernseh-Episoden wirft viel mehr Geld ab. Er hat es zu etwas gebracht, ist verheiratet, Vater zweier Töchter – und er will noch mehr. „Wenn es etwas gibt, das mich auszeichnet, dann das: Immer etwas dazulernen“, sagt Roddenberry einmal über sich. 1959 beginnt er, seine erste Fernsehserie zu produzieren, eine Anwaltsserie mit DeForest Kelley, dem späteren Doktor McCoy auf der Enterprise. Ein Pilotfilm wird produziert – der bei den Fernsehsendern durchfällt. Doch Roddenberry schreibt weiter Drehbücher und hat 1963 endlich den Durchbruch mit der Serie „The Lieutenant“. Dass später die Legende entsteht, Roddenberry habe die Serie erfunden und produziert – ein Missverständnis. Aber warum sollte er der Anekdote vom Erfolgsproduzenten widersprechen? Roddenberry ist da schon längst weiter. Science-Fiction soll es sein. Die Inspiration liefert eine Fernsehsendung: „Wagon Train“ läuft auf NBC und handelt von der Besiedelung des amerikanischen Westens. Die Serie kommt beim Publikum an und läuft von 1957 bis 1965. Sieben lange Jahre entdecken die Siedler in der Serie jeden Tag etwas Neues auf dem Weg nach Westen. Und Roddenberry hat eine Idee: Den Zug der Siedler ins Weltall zu verlegen. „Star Trek ist ein Wagon Train-Konzept, es dreht sich um Charaktere, die zu Welten reisen, die den unseren ähnlich sind und dabei Geschichten voller Action und Abenteuer erleben“, preist er seine Idee an. Niemand beißt an, bis er an Herbert Solow gerät. Der ist 1964 gerade als zweiter Produktionschef zu den notleidenden Desilu-Studios in Los Angeles gekommen, eine Filmfirma, die nur eine Sitcom im Angebot hat, die bald keiner mehr sehen will. Solow will es den alten Schnarchnasen bei Desilu zeigen, er kauft die Konzepte für „Mannix“ und „Mission: Impossible“. Aber Solow sucht noch etwas, was er an seinen ehemaligen Arbeitgeber NBC losschlagen kann, etwas Buntes. Schließlich rühmt sich NBC „der Farbsender“ zu sein – auch, um den Verkauf von Farbfernsehern der NBC-Muttergesellschaft RCA anzukurbeln. Da kommt 1964 Gene Roddenberry in Solows Büro. Solow erwartet einen taffen Typen, Polizist, Pilot ... Pech. Solow erinnert sich, Roddenberry habe einen Gang gehabt „wie lauwarmes Wasser, das langsam aus dem Hahn fließt“. Der Autor hat ein 16-Seiten-Manuskript mit Eselsohren in der Hand. Solow überfliegt es, und will sofort die Idee vom „Wagon Train zu den Sternen“ kaufen. „Sie haben es ja nicht einmal gelesen“, mault Roddenberry. „Ich sehe, wie Sie sich anziehen“, entgegnet Solow. Wer so zu einem Produktionsstudio gehe, müsse schreiben können. Zu zweit gehen Solow und Roddenberry an die Details der neuen Serie. Der Captain soll aus seinem Logbuch vorlesen. Prima. Alles soll „nautisch“ sein auf dem Schiff. Super. Der Captain soll Gulliver heißen. Nein. Als Dankeschön an Herb Solow schreibt Roddenberry die Figur Hikaru Sulu in die Serie hinein, den Steuermann – Solow, Sulu. Und tatsächlich: NBC beißt an, auch wenn ein erster Pilotfilm mit der unbekannten Schauspielerin Majel Barrett in der zweiten Hauptrolle zunächst durchfällt. „Zu kopflastig“ sei die Geschichte. Gleichwohl sagt der NBC-Programmchef Mort Werner, er habe schon viele Weltraumfilme gesehen, sich aber noch nie so an Bord eines Raumschiffs befunden, wie beim Pilotfim zu „Star Trek“. Für den zweiten Versuch und die spätere Serie macht NBC zwei Auflagen: Mehr Action und die „langweilige“ Majel Barrett sollte nicht wieder auftauchen. Unnötig zu erwähnen: Barrett taucht in der Serie wieder auf – als Krankenschwester Chapel, und noch mal in „The Next Generation“ als Computerstimme des Raumschiffs. Grund für die Wiederkehr: Roddenberry hat eine heftige Affäre mit ihr begonnen und will sie unbedingt in seiner Serie haben. NBC will außerdem, dass die Crew der Enterprise multinational sein soll. George Takei als japanischer Steuermann, die Afroamerikanerin Nichelle Nichols als Kommunikationsoffizierin, später kommt – tatsächlich auf Vorschlag der russischen „Prawda“ – der Navigator Pavel Chekov dazu (Walter Koenig). Das Multikulti-Konzept wird später Roddenberry zugeschrieben – wem sonst? „Der Sender sagte mir, ich solle die Nummer Eins loswerden, die erste Offizierin, und auch diesen ,Marsianer-Typ’, womit sie natürlich Spock meinten“, sagt Roddenberry später, „ich wusste, ich könnte sie beide behalten, also gab ich das Stoische der Offizierin der Rolle von Spock mit – und heiratete die Schauspielerin, die die Nummer Eins gespielt hat. Gott sei Dank ging es nicht andersherum aus.“ Tatsächlich gibt es am Set kaum eine Frau, die noch nicht nähere Bekanntschaft mit Roddenberry geschlossen hat. Auf seine Ehe nimmt er wenig Rücksicht, auch nicht, als er später Barrett geheiratet hat. „Da sind all diese Frauen, die Kinder von mir wollen“, fantasiert der manische Schürzenjäger einmal gegenüber dem Produzenten Bob Justman. Nichelle Nichols alias Lieutenant Uhura wird gesehen, wie sie nur in einem Sweatshirt Roddenberrys Büro verlässt. Für Barrett wird ein eigener Extrazugang zum Büro gebaut. Und Roddenberry mischt noch bei der Einstellung aller weiblichen Komparsen und deren Kostümen mit. Die Uniformen des weiblichen Enterprise-Personals können schließlich nicht knapp genug sein. Es beginnt auch die Jagd nach Drehbüchern für die Serie. Roddenberry schreibt nicht schnell genug, also werden Autoren verpflichtet. Mehrfach nimmt sich Roddenberry ein Skript und überarbeitet es – wonach auf wundersame Weise sein Name drübersteht. Die Titelmusik schreibt Alexander Courage. Roddenberry dichtet einen Liedtext, der nie verwendet wird, aber damit ist er automatisch an den Tantiemen beteiligt. Drei Staffeln von „Star Trek“ werden produziert. William Shatner und Leonard Nimoy – Captain James T. Kirk und Mr. Spock – kommen nie wieder von ihrem Enterprise-Image los. Nimoy schreibt später das Buch „Ich bin nicht Spock“, Shatner muss immer wieder auf „Star Trek“ anspielen: „Ich habe manchmal das Gefühl, ich wäre Kapitän eines Raumschiffs“, sagt er als demenzkranker Anwalt in „Boston Legal“. Grace Lee Witney spielt in acht Episoden die Assistentin von Captain Kirk – und stürzt im richtigen Leben als Alkoholikerin ab. Nach den ersten beiden Staffeln mobilisiert Roddenberry eine gewaltige Protestbewegung zur Fortsetzung von Star Trek. In der dritten Staffel verliert er aber das Interesse. Paramount hat Desilu übernommen, auf dem alten Studiogelände weht jetzt ein eisiger Wind. Zusammen mit Barrett, wird berichtet, räumt Roddenberry sogar das Lager mit Filmschnipseln und Kostümen von Star Trek im Studiokeller aus. Angeblich handeln beide mit den Requisiten. Star Trek läuft einfach aus. NBC verramscht die Serie an kleine Sender, die Kirk & Co. in Endlosschleife durchs Universum schicken, ab 1972 auch in Deutschland. Die Serie erzielt im Nachverkauf Millionengewinne und wird der erfolgreichste Flop der Fernsehgeschichte. Mitte der 1980er will Paramount „Star Trek: The Next Generation“ starten. In einem seltenen Moment der Aufrichtigkeit gesteht Roddenberry: „Wenn sie sagen ,created by’, so wie ,created by Gene Roddenberry’, dann stimmt das nicht. Ich habe nur den Weg gezeigt. Ich möchte nur dafür in den Credits stehen, dass ich mich mit Leuten umgeben habe, die all das Wundervolle erst zustande gebracht haben.“ Das weiß Paramount, will aber die Fans nicht verprellen. Deshalb muss Roddenberrys Name in den Vorspann und Barretts Stimme in den Computer. Weibliche Komparsen darf Gene aber nicht mehr einstellen, die 1960er Jahre sind vorbei. 1991 stirbt Roddenberry nach mehreren Schlaganfällen. Er ist einer der ersten, die im All bestattet werden. In diesem Jahr soll ein weiterer Teil seiner Asche zusammen mit der 2008 gestorbenen Barrett hochgeschossen werden. Doch vielleicht fliegt auch nur der Inhalt eines Staubsaugerbeutels ins All – wer weiß? Hauptsache, die Legende lebt weiter.

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