Rheinpfalz Dorf in Angst

Während der Sprechstunde des Bürgermeisters schubst er seine Mutter, anschließend schlägt er gegen den Wagen des Ortschefs. Es ist nicht das erste Mal, dass der 50-Jährige austickt. Manche lassen ihre Kinder nicht mehr auf die Straße. Das Gericht ist dran.

Der Angeklagte, der sich wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Nötigung vor dem Amtsgericht Bad Bergzabern verantworten musste, versetzt seit Jahren eine kleine Gemeinde in der Südpfalz in Angst und Schrecken. Eine Familie ist wegen ihm sogar weggezogen. „Das Problem, das die Gemeinde hat, sind nicht die paar Straftaten des Angeklagten. Überall, wo er auftaucht, haben die Leute Angst, dass er austickt“, sagte Richter Christoph Sommer nach einem fünfstündigen Prozess. Fünf Jahre lang darf sich der 50-Jährige nichts mehr zu Schulden kommen lassen, sonst droht ihm eine Haftstraße von einem Jahr – so lautete das Urteil. Der Mann sitzt noch bis Mai eine bereits verhängte Haftstrafe ab, derzeit ist er im Justizvollzugskrankenhaus Wittlich untergebracht. Im Mai wird er wohl wieder nach Hause kommen. Die bereits bei ihm attestierte und von Gutachter Stephan Rambach, Chefarzt des Städtischen Krankenhauses Pirmasens, bestätigte Persönlichkeitsstörung und verminderte Schuldfähigkeit machte es dem Gericht schwer, ein Urteil zu fällen, das künftige Straftaten möglichst ausschließt. „Ich bin froh, dass nichts weiter passiert ist“, sagte der Ortsbürgermeister der südpfälzischen Gemeinde, der als Zeuge geladen war. Der Angeklagte und seine Mutter seien bei ihm in der Sprechstunde gewesen, um Grundstücksangelegenheiten zu klären. Der Mann sei laut geworden, habe seiner Mutter auf die Hand geschlagen und sie geschubst. „Ich wollte keine Eskalation, er hat sich schon mit meinem Vorgänger geprügelt, deshalb bin ich raus“, erzählte der Bürgermeister. Der Angeklagte habe sich vor sein Auto gestellt, als er wegfahren wollte. Er habe an die Seitenscheibe geschlagen und an das Auto getreten. Dies sei kein Einzelall gewesen, wie er aus vielen Gesprächen mit den Bürgern wisse. „Viele sagen nichts und erstatten keine Anzeige, weil sie sich nicht mit ihm anlegen wollen.“ Die Angst sei groß, dass er nach seiner Haftstrafe wiederkomme und alles wieder von vorne losgehe, sagte der Bürgermeister. „Unsere Kinder waren teilweise nicht mehr draußen, wir hatten Angst vor ihm“, sagte ein Ehepaar im Zeugenstand. Der Angeklagte hatte unter anderem einen Weidenkorb mit Porzellanfiguren aus deren Garten nach ihnen geworfen und mit Brandstiftung gedroht. Müll im Briefkasten oder im Garten sei Alltag gewesen, was die mit der Polizei abgesprochene Videoüberwachung des Grundstücks zeige, so die Zeugen. Die Familie hat ihr Haus inzwischen verkauft und ist weggezogen. Auf einen anderen Zeugen hatte der Angeklagte Schotter geworfen. „Die Leute haben Angst“, sagte der Polizeibeamte, der die Anzeigen aufgenommen hatte und schon „etliche Jahre“ mit dem Angeklagten zu tun hat. „Schwere andere seelische Abartigkeit“ – so lautet der Fachbegriff für die persönlichkeitsverändernden Störungen, die Gutachter Rambach dem Angeklagten attestierte. Während der Verhandlung verhielt er sich ruhig und zurückhaltend. „Die Straftaten haben sich aus dem Gefühl heraus entwickelt, dass für ihn etwas falsch gelaufen ist“, sagte Rambach. Das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, bleibe, man könne es medikamentös nur abmildern, aber nicht heilen. Er werde auch künftig trotz der Medikamente große Probleme mit der sozialen Umwelt bekommen und könne weiterhin Straftaten begehen, erklärte der Sachverständige. „Wird er künftig eine Hacke oder Waffe in die Hand nehmen?“, fragte Richter Sommer. „Ich glaube nicht, aber ich kann es auch nicht ausschließen“, sagte Rambach. „Der Gemeinde können wir seine Rückkehr nicht ersparen, die Einrichtung, die man für ihn bräuchte, gibt es nicht“, konstatierte der Richter, denn nach einer Gesetzesänderung sei eine Einweisung in die forensische Psychiatrie in diesem Fall nicht möglich. Der Angeklagte ist in der Gemeinde, in der die Bürger heute Angst vor ihm haben, aufgewachsen. Der mürrische, streitsüchtige und despotische Vater, ließ ihn schon als Kind in den Weinbergen arbeiten, die Familie nahm am dörflichen Leben nicht teil, sagte Sommer. Schläge des Vaters waren an der Tagesordnung, auch mit Gegenständen wie einer Wasserflasche. „Er hat alles versprochen, doch es wurde nix draus“, antwortete der Angeklagte auf die Frage, warum das Haus kein fließendes Wasser, keine Heizung und kein Bad habe. Auf Geheiß des Vaters lernte er den Beruf des Küfers, er arbeitete anschließend in verschiedenen Weingütern in der Südpfalz. 1998 war er erstmals in psychiatrischer Behandlung. Wenn er wieder auf freien Fuß ist, wird kontrolliert werden, dass er seine Medikamente nimmt. Zudem wird er einen Betreuer haben. „Wenn sie nur einmal zucken, fahren sie wieder ein“, sagte Richter Christoph Sommer dem Angeklagten, für den es wieder zurück ins Justizvollzugskrankenhaus ging.

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