Kultur Südpfalz Die Hormone tanzen Ringelreihen

Auf Neu folgt Alt, auf die Uraufführung die Wiederentdeckung. So will es die sogenannte Schwetzinger Dramaturgie. Nach Bernhard Langs Oper „Reigen“ zur Eröffnung des diesjährigen Schwetzinger SWR-Festspiele hatte am Donnerstagabend Johann Adolph Hasses „Leucippo“ Premiere. Bei aller Qualität der Aufführung: So wirklich überzeugt von dem Hasse-Plädoyer war man hinterher nicht.

Da wollten die Kids einmal Romeo und Julia spielen und dann kommt ihnen dieser blöde Gott Apollon mit seinem dämlichen Happy End dazwischen. Nichts ist es mit dem gemeinsamen Liebestod. Völlig umsonst hat sich Dafne bereits die Pulsadern geöffnet. Die Götter verzichten auf jedes Menschenopfer, Dafne und Leucippo, der sich unter dem falschen Namen Aristeo in Arkadien eingeschlichen hat, werden ein glückliches Paar. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann sind sie auch heute noch so glücklich wie alle anderen Hirten und Nymphen auch, die da lustig und freudetrunken und sinnenfroh in Arkadien vor sich hin leben. Echt jetzt? Das glaubt doch niemand! Die unvermittelte Tragik und die Ernsthaftigkeit, die in Tatjana Gürbacas Inszenierung im Schlussbild der Hasse-Oper Einzug halten, wirken etwas bemüht. Ist doch alles nur ein Spiel. Ein Liebesspiel. Ein Liebeslaboratorium. Die Barock-Oper als Pennäler-Posse. Irgendwo zwischen Wedekinds „Frühlings Erwachen“ und Musils „Zögling Törleß“. Gürbacas Personenführung hat keine Angst vor der Verwechslung mit Laienspielgruppe und Schülertheater-Aufführung. Das ist beabsichtigt, und das ist mitunter auch richtig witzig. Die Bühne von Henrik Ahr macht aus Arkadien ein ovales, ockergelbes Gefängnis. Darin sind diese jungen Menschen eingesperrt, sich ausgeliefert. Und die Hormone tanzen Ringelreihen. Kuscheln ist angesagt, Männlein mit Weiblein, Männlein mit Männlein, Weiblein mit Weiblein. Es geht um die Spielarten der – noch – unschuldigen Liebe. Um erste Annäherungsversuche, erste Küsse – und manchmal auch ein bisschen mehr. Die arkadische Glückseligkeit hat etwas von Grenz-Debilität. Man grinst sich dümmlich an, wirft sich im Kreis einen Apfel zu – Achtung: Die Vertreibung aus dem Paradies lässt grüßen – und hat im Übrigen seinen Platz im Geschlechterkosmos noch nicht so ganz gefunden. Leocippo zumindest hat eine Vorliebe für weite Röcke. Darüber hinaus ist er, von Vasily Khoroshev mit sauber geführter, mitunter jedoch etwas zu kleiner Stimme gesungen, eher so eine Art tapsiger Bär, der sich aufmacht, den neuen Kontinent der Liebe zu erkunden. Von Franziska Gottwalds angekündigter Indisponiertheit war nichts zu hören. Sie ist als Dafne eine junge Frau, die genau weiß, was sie will. Und sollte sie es nicht bekommen, dann greift sie eben zum Messer. Das zweite Liebespaar des Abends überzeugt stimmlich wie darstellerisch: Holger Falk (Nunte) ist ein prolliger Macho, während Netta Or als Climene das allzeit liebesbereite, dralle Blondchen gibt. Zu der großartigsten sängerischen Leistung des Abends schwingt sich Claudia Rohrbach in der Rolle des Delio beziehungsweise Apollon auf, während man von Francisco Fernández-Rueda in der Rolle des Narete vor allem in der Mittellage doch etwas enttäuscht ist. Wie aber nun klingt die Musik zu diesem Schwank? Konrad Junghänel und das Concerto Köln tun wirklich alles, um Hasse so lebendig wie möglich für die Opernbühne zurückzugewinnen. Da wird unter Hochspannung musiziert, werden mitunter sehr forsche Tempi gegangen, kommt es zu scharfen Akzenten und bisweilen sogar zu völlig überraschenden Phrasierungen. Die Gefälligkeit und Eingängigkeit der Hasse-Melodien kommen so zwar ganz wunderbar zur Geltung, leider aber fällt eben auch ihre Vorhersehbarkeit auf. Das Stück hat – neben seiner nicht wirklich schlüssigen Dramaturgie – durchaus seine Längen. Da hilft auch das packendste Spiel auf historischen Instrumenten nur bedingt.

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