Kultur Südpfalz Blues, Bach, Freejazz

Günter Lenz mit Herbert Joos (links) und Frank Kuruc.
Günter Lenz mit Herbert Joos (links) und Frank Kuruc.

Nach dem tollen Gig mit ihm und seiner Combo zum Frühschoppen sprachen wir mit dem vor Kurzem 80 Jahre alt gewordenen Musiker Günter Lenz. Von der Atmosphäre her erinnert das kleine Jazzfestival an das legendäre Newport-Jazzfestival. Lenz und seine Mitmusiker präsentierten gediegene Jazzstandards wie „Autumn leaves“, „Stella by starlight“ und „Just Friends“. Allerdings war die Interpretation alles andere als altbacken. In manchen spannenden, unvorhersehbaren Augenblicken fragte man sich, ob die drei Musiker noch die gemeinsame Kurve kriegen. Diese Momente machen die Magie eines guten Jazzkonzerts aus. Danach kommt ein gut gelaunter, vital wirkender Günter Lenz zum Interview.

Wie kamen Sie zu dieser Musikerbesetzung?

Nach der überraschenden Aufforderung, hier zu spielen, dachte ich, ich lade Freunde ein, die ich noch aus meiner Zeit als Professor an der Stuttgarter Hochschule kenne, Frank Kuruc an der Gitarre und Herbert Joos, den Jazzpreisträger in Baden-Württemberg, an Trompete und Flügelhorn. Sie haben mit Freude zugesagt, und ich habe gesagt, wir müssen für das Publikum spielen, und zwar Jazzstandards und hauptsächlich Blues, für den die Gitarre prädestiniert ist. Welche Rolle spielt der Blues in Ihrem musikalischen Background? Ich bin in der amerikanischen Zone aufgewachsen, und der amerikanische Sender AFN hat wunderbare Jazzsendungen gebracht. Hier bin ich erstmals 1946 auf den Blues getroffen. Der Blues war schon immer wichtig für mich, ich bin dankbar, dass ich die Form von anderen Musikern erklärt bekam, zum Beispiel im Jazzkeller in Frankfurt. Was mich bewegt, ist aber neben dem „alten“ Blues auch der moderne Blues, wo die Harmonien verfremdet werden. Warum hat Sie der Bassist Ray Brown so beeindruckt? Gute Frage. Weil ich anfangs Gitarre in einer Band gespielt habe, habe ich auch immer die Gitarristen gehört, in diesem Fall Herb Ellis im Oscar Peterson Trio, mit Ray Brown am Bass. Ich wunderte mich, warum das immer so gut klingt, und bei uns in der Band klang das immer so seltsam, was daran lag, dass der Bassist nicht so gut war. Und so bin ich auf Ray Brown gekommen und habe dann durch das Hören unglaublich viel gelernt. Mich fasziniert, dass Ray Brown immer etwas „vor dem beat“ spielt. Das ist das „Ziehen“, im Trio ohne Schlagzeug macht man das gefühlsmäßig, denn bis der Ton bei den anderen ankommt, würden die dann immer hinterherrennen. Was sind Ihre musikalischen Aktivitäten heutzutage? Nach meiner ehemaligen Unterrichterei an der Hochschule bleibt mir das Ensemble des Hessischen Rundfunks, wo ich Bass spiele und für das ich komponiere, das ist mir wichtig. Ich bin in der Komposition auch andere Wege gegangen, abgeleitet von der Zwölftonmusik, das ist mein Anliegen. Nun sind Sie aber auch noch Komponist und Arrangeur für zum Beispiel die HR- und NDR-Bigband, sind als Studiomusiker aktiv und mit Ihren eigenen Projekten. Das ist leider weniger geworden. All das zu machen, vor allem Arrangements und Kompositionen zu schreiben, ist eben auch sehr anstrengend, das ist ja alles Kopfarbeit. Natürlich geht es in der Musik um die Gefühlswelt, aber damit ich die Gefühlswelt ausleben kann, muss es erst mal im Kopf stimmen, damit ich in meine Gefühlswelt kommen kann. Das Theoretische muss wie im Schlaf gehen. Sie sind seit 1961 Mitglied des HR-Jazz-Ensembles. Wie würden Sie die aktuelle Musik dieses Ensembles bezeichnen? Und wie oft machen Sie Aufnahmen? Der Stil ist mehr experimentell. Wir vergessen auch nicht die Time, den Rhythmus und das Swingen, aber es gibt dann auch Stücke, die völlig frei sind und in den Freejazz gehen. Aufnahmen machen wir leider nicht mehr so oft, sechs bis achtmal im Jahr. Warum ist diese Musik weiter Nischenmusik, beispielsweise ist die Ausstrahlungszeit für Ihre Aufnahmen meistens spätabends und erreicht gar nicht so viele Menschen. Das ist nicht nur Rundfunkpolitik, das ist auch Kulturpolitik. Dann geht es auch um die Gelder, wie viele Menschen erreichen wir, können wir das überhaupt aufrecht erhalten? In der Heftigkeit, in der heute Jazzmusiker an den Hochschulen ausgebildet werden, könnte man meinen, es gebe einen riesigen Bedarf an Diplom-Jazzern. Wie stehen Sie als Musiker der alten Schule dazu? (Lacht) Ich habe damals schon angezweifelt, ob es Sinn ergibt, Jazzmusiker akademisch auszubilden, weil wir als Jazzmusiker und später als Lehrer, wir haben uns alles von Platten heruntergeholt. Es gab überhaupt kein theoretisches Material. Wir sind dann von unserer abendländischen Harmonielehre ausgegangen, die über viele Sachen nicht hinausging. In diesen Büchern hatte man total vergessen, was einmal Johann Sebastian Bach gemacht hat, der ist unglaublich, der war ein unglaublich mutiger Typ, und der Horizont, wohin der gegangen ist, das ist ja modernste Musik. Wo kann der Musiker nach seiner Ausbildung überhaupt arbeiten? Wo kommt er unter? Die Stellen an den Musikhochschulen und Rundfunkanstalten sind besetzt, da muss erst einer sterben oder in Pension gehen. Ich las neulich ein Interview mit einem amerikanischen Saxofonisten, der in einer Verbindung von Jazz und Hip-Hop in den USA eine große Nummer ist. Er brach in schallendes Gelächter aus, als er gefragt wurde, was er denn von europäischem Jazz halte, nach dem Motto: Gibt es in Europa überhaupt eigenen Jazz? Das haben schon viele Amerikaner gefragt, und dann kamen sie nach Deutschland und haben sich gewundert, dass es sowas hier gibt. Was ist das Beste daran, wenn man 80 geworden ist? Das Beste daran ist, dass man weiß, dass es irgendwann aufhört, und aufhören soll es auf eine gute Art und Weise. Eventuell schenkt mir einer ein Ständchen mit der Bluesgitarre in der Hand (lacht). Und was ist das Schlechteste daran, wenn man 80 geworden ist? Das Schlechteste ist die Vergangenheit, dass alles, was man erreicht hat und auf die Beine gestellt hat, eigentlich gar nicht benötigt wird. Man muss großes Glück haben, wenn man als Jazzmusiker eine große Würdigung bekommt. Können Sie sich vorstellen, sich eines Tages einmal zur Ruhe zu setzen? Nein, eigentlich nicht. Es muss weitergehen. Nur hoffentlich macht der Körper da mit. Das ist alles. Sie müssen also weiter Ihre grauen Zellen anstrengen. Die strenge ich mit Freuden an. Aber was die Glieder machen, weiß ich nicht. | Interview: Karl-gerhard Schulze

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