Rheinland-Pfalz Was für eine Ehre

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An Ehrungen und Titeln mangelt es der CDU-Landesvorsitzenden Julia Klöckner, seit 2018 zugleich Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, nun wahrlich nicht: Bekanntermaßen war sie 1995 Deutsche Weinkönigin. Im Februar wurde sie vom Aachener Karnevalsverein mit dem prestigeträchtigen Orden „Wider den tierischen Ernst“ ausgezeichnet. Begründung: Klöckner sei eine rheinland-pfälzische Frohnatur, die mit Bodenständigkeit, Offenheit und Ehrlichkeit punktet. Doch ausgerechnet eine eher provinzielle Ehrung beschert Klöckner jetzt massenweise Spott und Häme. Boppard will die 46-jährige CDU-Politikerin am 27. September zur „Ehrenwinzerin“ küren. Die Auszeichnung wird seit 1981 beim Bopparder Weinfest vergeben, bisher hatten vor allem rheinland-pfälzische Landespolitiker wie Scharping, Brüderle, Beck, Bauckhage, Höfken und im vergangenen Jahr Innenminister Roger Lewentz das Vergnügen. Dem Bopparder Weinfest hat das vermutlich nicht viel genutzt, aber auch nicht geschadet. Bei der Ehrenwinzer-Würde für Julia Klöckner könnte das jetzt anders sein. Denn auf die Bekanntgabe der Nominierung durch das Bopparder Stadtmarketing hagelte es im Internet rund 200 Kommentare – die meisten davon kritisch, lästernd und von Empörung getrieben. Die einen wollen wegen Klöckner dem Weinfest ganz fernbleiben, andere schworen, ab sofort keinen Tropfen Bopparder Wein mehr zu trinken. Vor allem wurde der Landwirtschaftsministerin vorgeworfen, bei den Themen Glyphosat, Ferkelkastration und Kükenschreddern nicht konsequent genug zu sein. In einem Eintrag auf der Facebook-Seite heißt es: „Ausgerechnet die Lobbyministerin. Da wäre Nina Hagen eindeutig die bessere Wahl gewesen, die hat wenigstens Kontakt zu Außerirdischen ...“ Die Verunglimpfungen waren teils so heftig, dass sich der Bürgermeister des 15.300 Einwohner-Städtchens am Mittelrhein genötigt sah, selbst in die Debatte einzugreifen. Walter Bersch (SPD) forderte auf der Internetplattform „Integration statt Ausgrenzung“. Die Herabwürdigung Klöckners sei verwerflich, sie grenze aus und sie kopiere „eine ungute Herangehensweise von rechts“. Der SPD-Politiker Bersch: „Ich muss an dieser Stelle nicht besonders betonen, dass ich eine andere politische Auffassung als Frau Klöckner habe. Genau so klar ist für mich aber auch, dass sie eine sehr gute Botschafterin der Bopparder Weine sein wird. Ich fordere Toleranz.“ Doch der Appell blieb nahezu wirkungslos. Einer der nächsten Kommentare lautete: „Schaurige Entscheidung, das hat Boppard nicht verdient. Traurig, traurig.“ Dies ist freilich nicht der erste Shitstorm, den sich Klöckner einhandelt. Als sie im Juni in einem gemeinsamen Video-Clip dem Nestlé-Deutschlandchef Marc-Aurel Boersch schmeichelte, erntete sie ebenfalls kübelweise Kritik. Denn in dem 59-Sekunden-Video lobte sie ausgerechnet den umstrittenen Lebensmittelkonzern für seine Bemühungen, seine industriellen Fertigprodukte zumindest etwas weniger ungesund zu machen. Auch SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach zürnte damals: „Vorgang ist peinlich, ja bitter. Klöckner lässt sich von Nestle Lobbyisten erst die Zuckersteuer und die Lebensmittelampel abverhandeln und tritt dann bei PR-Event von Nestle auf, einem Konzern, der in Afrika noch Profit mit dem Verkauf des Trinkwassers an die Ärmsten macht.“ Die Empörung über das Nestlé-Video konnte Klöckner indes nicht nachvollziehen, sie nannte die Kritiker im Nachhinein kurzum „Hatespeaker“. Was sie von den Schmähungen aus Boppard hält, verriet sie bisher nicht. Über eine Ministeriumssprecherin ließ Klöckner lediglich ausrichten: „Ehrenwinzerinnen und –winzer tragen dazu bei, die Weinbauregion bekannter zu machen.“ Ob das tröstlich für die Bopparder ist? Vielleicht. Denn Marketing-Fachleute behaupten ja, auch schlechte PR sei gute PR oder zumindest besser als gar keine ... | Rolf Schlicher

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