Rheinland-Pfalz Neue Aussichten

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Landwirte haben ein besonderes Privileg: Sie dürfen außerhalb von Ortschaften bauen. Gerade am Haardtrand kommt es dabei immer wieder zu Konflikten. Das Verwaltungsgericht Neustadt hat jetzt klargemacht: Die freie Sicht zum Hambacher Schloss oder zur Villa Ludwigshöhe darf nicht mit überdimensionierten Aussiedlerhöfen und Hallen abgeriegelt werden.

Neustadt

(ros). Der Fall sorgte 2006 für Aufregung: Die Stadt Neustadt hatte einem Winzer im Außenbereich direkt unterhalb des Hambacher Schlosses einen voluminösen Neubau genehmigt – direkt in der südlichen, bisher freien Sichtachse. Kritik kam beispielsweise vom SPD-Fraktionsvorsitzenden im pfälzischen Bezirkstag, dem Landtagsabgeordneten Günther Ramsauer. Dies sei ein „äußerst unsensibler Umgang einer Verwaltung mit dem bedeutendsten historischen Denkmal an der Haardt“, rügte er. Pikant: Das Hambacher Schloss gehört seit 2002 einer Stiftung, deren Träger auch die Stadt Neustadt ist. Doch dem Mit-Schlossherrn war anderes wichtiger. Neustadt verteidigte sein Vorgehen damals mit der Begründung, der Winzer habe ursprünglich am Hambacher Schwimmbad bauen wollen, demgegenüber sei der Stadt der Standort unterhalb des Hambacher Schlosses als „das kleinere Übel“ erschienen. Die Mitgliedschaft in der Stiftung Hambacher Schloss spielte offenbar für Neustadt auch in einem aktuellen Fall keine Rolle. Einem Winzer wurde bei Diedesfeld im Außenbereich eine Vinothek mit 100 Quadratmeter großem Panoramasaal für Hochzeitsfeiern und Betriebsfeiern genehmigt. Möglich war dies nur, weil der Komplex auch eine landwirtschaftliche Lager- und Fahrzeughalle hat. Der unlängst eingeweihte Bau steht direkt am Mittelpunkt der Deutschen Weinstraße, dort hatte man bisher einen freien Blick zum Hambacher Schloss. Jetzt nicht mehr. Die Sichtbezüge zum Hambacher Schloss seien in den mit der Baugenehmigung befassten Gremien „nicht direkt thematisiert“ worden, sagt Anke Priester, die persönliche Referentin des Neustadter Oberbürgermeisters. Allerdings habe man die Höhenentwicklung des Neubaus diskutiert und dazu Vorgaben gemacht. Andere Gemeinden haben Sichtbeziehungen und Landschaftsbild ganz direkt im Blick. Beispielsweise Rhodt. Der südpfälzische Weinbauort ist ein Touristenziel, die pittoreske und denkmalgeschützte Theresienstraße gilt als eine Flaniergasse für alle Sinne. Als ein Winzer im Außenbereich eine Halle mit mehr als 1000 Quadratmeter Grundfläche bauen wollte, sagte der Ortsgemeinderat Nein. „Wir versuchen natürlich, unseren Winzern Erweiterungen zu ermöglichen“, meint Ortsbürgermeister Torsten Engel. Doch dabei achte man darauf, „dass das, wovon wir leben, nämlich Natur und Landschaft, nicht zu stark in Mitleidenschaft gezogen wird“. Und in diesem konkreten Fall stand nach Auffassung des Gemeinderats der Schutz des Landschaftsbildes gegen das Bauvorhaben. Weil der Winzer aber klagte, landete der Fall beim Verwaltungsgericht Neustadt. Auch dort wurde nun in einem bemerkenswerten Urteil dem Schutz der Weinberglandschaft an der Haardt Vorrang eingeräumt. Nach dem Baugesetzbuch ist Bauen im Außenbereich eigentlich grundsätzlich nicht erlaubt. Doch es gibt Ausnahmen (behördendeutsch: Privilegierungen), bei denen Baugenehmigungen möglich sind. Dazu zählen beispielsweise landwirtschaftliche Betriebe. Hintergrund ist, dass landwirtschaftliche Höfe oft schon von ihrer Größe her kaum im bebauten Gebiet unterzubringen sind. Dies bedeutet aber nicht, dass jedes landwirtschaftliche Gebäude im Außenbereich genehmigt werden muss. So können solchen Vorhaben öffentliche Belange entgegenstehen. Das sind unter anderem Belange des Naturschutzes, Belange des Denkmalschutzes und eine drohende Verunstaltung des Landschaftsbildes. Was sich letztlich durchsetzt, ist eine Abwägungsfrage, bei der freilich die gesetzliche Privilegierung des Landwirts besonders schwer wiegt. Das heißt: Es muss schon um markante, besonders wertvolle Landschaften gehen, die vor einer Verschandelung bewahrt werden sollen. Genau dies sah das Verwaltungsgericht Neustadt in dem Rhodter Fall so. Bei einem Bau in exponierter Lage sei „ein schärferer Maßstab“ angebracht. Und exponiert war der Standort der geplanten Riesenhalle: Direkt im weiten Rebenmeer, nahe des Rhodter Friedhofes auf einer leichten Anhöhe, dazu mitten in den Sichtbeziehungen zum Hambacher Schloss und zur wesentlich näheren Villa Ludwigshöhe. Das Fazit des Verwaltungsgerichts: Der vorgesehne Hallenstandort liege damit innerhalb einer nur durch den Haardtrand begrenzten Weinberglandschaft, für die „zugleich der besonders schöne Blick auf die beiden markanten Baudenkmäler kennzeichnend“ sei. Und weiter: Insofern sei der exponierte Grundstücksbereich des Klägers nicht vergleichbar mit dem typischen Hallenstandort im Außenbereich eines pfälzischen Weindorfes. Aus diesen Gründen erschien dem Gericht, das sich bei einem Vor-Ort-Termin selbst ein Bild gemacht hatte, das Bauvorhaben mit 1000 Quadratmetern Fläche und 7,5 Metern Firsthöhe als „grob unangemessen verunstaltend“. Wenn schon im zehn Kilometer entfernten Rhodt der Schutz der freien Sicht zum Hambacher Schloss schwerer wiegt als ein Aussiedlerhof, müsste das nicht dann erst Recht in unmittelbarer Nachbarschaft des Demokratiedenkmals gelten? Dazu will die Stadt Neustadt derzeit nicht Stellung beziehen: Es handele sich bei dem Rhodter Fall um ein schwebendes Verfahren. In der Tat hat der Rhodter Winzer die Zulassung der Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Koblenz beantragt. Und die anderen Haardtrand-Anlieger? Der weitere Umgang mit Aussiedlungsvorhaben werde von der Rechtskraft des Urteils im Fall Rhodt abhängen, sagt die Sprecherin der Kreisverwaltung Südliche Weinstraße Carolin Ditsch. Es werde aber auch künftig immer im Einzelfall zu prüfen sein, ob eine Verunstaltung des Landschaftsbildes vorliege. Ungeachtet dessen hat die Kreisverwaltung im Bereich St. Martin jetzt versucht, Aussiedlungsbestrebungen in sehr sensiblen Bereichen vorzubeugen: Rund 80 Hektar der St. Martiner Gemarkung wurden im Mai als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen. Bei der Kreisverwaltung Bad Dürkheim heißt es: „So einen Fall wie der in Rhodt hat es bei uns noch nicht gegeben.“ Den Kreis beschäftigt stattdessen ein anderer Stein des Anstoßes. In Ungstein hat ein Winzer im Außenbereich gerade eine Lagerhalle gebaut, die höher wurde als vorgegeben und auf die zudem ein elf Meter hoher Turm für einen Fahrstuhl sollte. Wegen der „erheblichen Beeinträchtigung des Ortsbilds“ wurde der Turm von Kreis und Stadt Bad Dürkheim erst einmal gestoppt. Auch dieser Konflikt wird wohl vor dem Verwaltungsgericht Neustadt landen. Wie groß der Druck auf die Landschaft ist, zeigt dies: Landesweit sind es rund 1000 Fälle im Jahr, in denen mit der Begründung „landwirtschaftliche Privilegierung“ eine Baugenehmigung im Außenbereich begehrt wird. „Da ist von der großen Halle bis zur Wellblechhütte alles dabei“, heißt es bei der Landwirtschaftskammer. Dort wird geprüft, ob es sich bei dem Antragsteller überhaupt um einen Landwirt handelt und ob das Bauvorhaben bezogen auf die Größe des Betriebs angemessen ist. „In der Hälfte der Fälle haben die Projekte nichts mit Landwirtschaft zu tun“, sagt Ralph Gockel, Referatsleiter Raumordnung der Landwirtschaftskammer. Die andere Hälfte landet dann bei den Baubehörden – zur Genehmigung.

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