Rheinland-Pfalz „Das Abendland ist nicht untergegangen“

MAINZ (pet). Die Aufregung hat sich gelegt. Als im Schuljahr 2008/2009 in Rheinland-Pfalz das Fach Naturwissenschaften (Nawi) in den Klassenstufen fünf und sechs eingeführt wurde, hagelte es Kritik. Vor allem der Philologenverband fand es bedenklich, die traditionellen Fächer Biologie, Chemie und Physik durch den fächerübergreifenden Nawi-Unterricht zu ersetzen.

„Ich bin zwar immer noch kein Freund von Nawi“, sagt der Vorsitzende des rheinland-pfälzischen Philologenverbandes, Malte Blümke. „Das Abendland ist dadurch aber auch nicht untergegangen.“ Große Fortschritte seien allerdings nicht erzielt worden. Nach wie vor kritisiert der Verband der Gymnasiallehrer, dass Unterrichtsausfall mit Hilfe von Nawi kaschiert werden kann: „Wenn Nawi fachfremd unterrichtet wird, lässt sich so zum Beispiel der Mangel an Physiklehrern vertuschen.“ Laut Blümke ist der Philologenverband auch strikt dagegen, den fächerübergreifenden Unterricht auf die Mittelstufe auszudehnen. Klaus-Peter Hammer, Landesvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Bildung (GEW), ist davon überzeugt, dass es richtig war, das Fach Naturwissenschaften einzuführen. Er begründet dies mit den Defiziten, die rheinland-pfälzische Schüler in den Naturwissenschaften hatten. Es sei sinnvoll, Themen zu vernetzen. Mit Hilfe von Nawi könnten Schüler zusammenhängende naturwissenschaftliche Phänomene besser einordnen. „Den Fachlehrern hat das Herz geblutet, weil der Stoff nicht mehr vertieft werden kann“, so Hammer. Schule müsse aber nur Grundlagen vermitteln. „Und das geschieht.“ Inzwischen laufe der Nawi-Unterricht. Jetzt seien aber weitere Fortbildungen nötig. Michael Eich, Vorsitzender des Bezirks Neustadt im Verband Realer Bildung (VRB), hat den Eindruck, dass das Fach Naturwissenschaften in den Real- und Gesamtschulen zu einer festen Größe geworden ist und ins Profil der Schulen passt. Anfangs habe es Wirbel gegeben, weil weder ein Konzept noch verbindliche Lehrpläne vorhanden gewesen seien. VRB-Landesvorsitzender Bernd Kast lobt die ganzheitliche Herangehensweise an den Lehrstoff. Nawi schlage eine Brücke zwischen allen drei Fächern. In der fünften und sechsten Klasse habe sich das neue Fach bewährt: „Es setzt den Sachkundeunterricht fort.“ Der Verband lehne es aber ab, das Nawi-Konzept auf die Mittelstufe zu übertragen. „Fächer wie Physik würden dadurch benachteiligt. Es gibt auch so schon zu wenig Leute, die sich für Chemie und Physik interessieren.“ Brigitte Frisch, Leiterin der Fachkonferenz Chemie am Heinrich-Heine-Gymnasium in Kaiserslautern, ist begeistert vom Fach Naturwissenschaften. „Das Experimentieren macht Spaß und motiviert die Schüler“, sagt sie. Wenn es um „Stoffe im Alltag“ geht, stellt sie zum Beispiel Limonade her. „Nawi ermöglicht dem Lehrer, Kreativität mit Kindern auszuleben. Man kann Freiräume nutzen.“ Frisch weist aber darauf hin, dass Artenkenntnis und Tierkunde bei Nawi auf der Strecke bleiben. Daniel Kluck, Fachbereichsleiter am Neustadter Käthe-Kollwitz-Gymnasium, sieht im Nawi-Unterricht eher ein Sparprogramm, bei dem Stunden gekürzt werden, als eine naturwissenschaftliche Förderung: „Es ist der Versuch, eine prekäre Situation zu entspannen.“ Kluck bedauert, dass die Schulen keinen eigenen Nawi-Etat haben, sondern nur den Mangel verwalten. „Experimente sind sehr zeitaufwendig, vermitteln aber nur rudimentäre Kenntnisse.“ Von den Schülern werde viel verlangt, doch die Grundlagen fehlten. Auch Fachbereichsleiterin Jana Heravi von der Realschule Plus in Pirmasens findet es problematisch, dass Nawi meist von Biologielehrern unterrichtet werden muss. „Der neue Lehrplan Chemie baut aber auf dem Nawi-Unterricht auf. Wenn also der fachfremde Lehrer Chemie zwei Jahre vernachlässigt hat, muss der Fachlehrer von vorne anfangen.“ Heravi unterrichtet neben Nawi, Mathe und Physik auch fachfremd Chemie und weiß, wie viel Zeit es kostet, den Anschluss zu halten. Am Naturwissenschaften-Unterricht schätzt sie die Praxisanteile. Für Kinder sei es spannend, sich selbst etwas zu erarbeiten. „Das weckt Interesse.“ Zufrieden mit dem Nawi-Unterricht ist Tatjana Kuhn, Konrektorin der Carl-Orff-Realschule in Bad Dürkheim. Ihrer Erfahrung nach haben sich die Lehrer nach den Fortbildungen gut eingearbeitet. „Ich habe schon lange nichts Negatives mehr gehört“, sagt sie. „Anfangs war es eine Umstellung, aber jetzt läuft alles.“ Andreas Gensheimer, Fachleiter Nawi an der Integrierten Gesamtschule Ernst-Bloch in Ludwigshafen, weiß, dass das Fach Naturwissenschaften nicht leicht zu organisieren ist. Deshalb ist er froh, dass die Gesamtschulen den Unterricht flexibler gestalten können. So teilt er zum Beispiel die Klasse, wenn er experimentieren will. Gensheimer plädiert dafür, Nawi einen Etat zu geben. „Es fehlt teilweise an den Materialien und an der technischen Ausstattung.“ Margrit Scholl vom Pädagogischen Landesinstitut in Speyer ist froh, dass in der Nawi-Einführungsphase dank der Fortbildungen so viele Lehrer erreicht wurden: „Da es weder Lehrpläne noch Bücher für das neue Fach gab, haben wir im Team Unterrichtsgänge entwickelt und Materialien zusammengestellt.“ Laut Scholl werden in der Orientierungsstufe Grundlagen und Fachkompetenzen vermittelt. „Die neuen Lehrpläne in Biologie, Chemie und Physik, die im nächsten Schuljahr in Kraft treten, bauen aber auf dem Nawi-Lehrplan auf.“ Wenn sich die Lehrer in der fünften und sechsten Klasse daran gehalten haben, gibt es nach Ansicht Scholls in der Mittelstufe für die Schüler keine Probleme im Fachunterricht. Ein integrativer Unterricht der Fächer sei durch die neuen Lehrpläne nicht vorgesehen.

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