Politik Wie sage ich’s meinen Bürgern?

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Mit einem Tag Abstand wirken die Tonnen von Hohn und Spott, die am Mittwoch über Innenminister Thomas de Maizière ausgeschüttet wurden, ziemlich absurd. Natürlich hat der Innenminister am Abend zuvor einen wirklich dummen Satz gesagt. Wer auf die berechtigte Frage nach dem Grund der Absage des Fußball-Länderspiels mit den Worten reagiert „Ein Teil der Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“, schafft genau das: extreme Verunsicherung. Das führt dazu, dass die Fantasie Flügel bekommt, dass Gerüchte entstehen, mit denen die Lücke geschlossen wird, die der Mangel an Fakten aufgerissen hat. Die Absurdität der Debatte liegt aber darin, dass im Netz kaum jemand über den Anlass sprach, der zu diesem törichten Satz des Innenministers führte. Kurz zuvor wurde nämlich eine Veranstaltung abgesagt, die mit hoher Rhetorik zum Symbol gegen den Terror erklärt worden war. Das Fußballspiel war ein Versprechen, dass wir uns nicht beugen vor dem Schrecken, dass wir genau so weitermachen wie bisher. Und dieses Versprechen wurde nicht eingelöst, denn eine neue Bedrohungslage war eingetreten. Sicherheitsgründe, an denen nicht zu zweifeln ist, zwangen die Verantwortlichen zu dem bitteren Schritt, das Spiel abzusagen. Das war vernünftig. Niemand sollte aus Trotz ins Risiko gehen. Der Staat hat eine Schutzfunktion, und dieser ist er nachgekommen. Das war die eigentliche Botschaft von Hannover. Die Menschen vor dem Stadion haben sich vorbildlich verhalten, folgten den Anweisungen der Polizei und gingen nach Hause. Vielleicht sind die Bürger klüger, als es manche glauben wollen. Und vielleicht vertragen sie auch die Wahrheit, auch wenn die wehtut. Seit dem Angriff auf das World Trade Center wissen wir doch, dass Deutschland im Fadenkreuz islamistischer Terroristen ist, dass es Anschlagsversuche gegeben hat und wir bis jetzt sehr viel Glück hatten. Trauen wir uns doch, offen darüber zu reden. Und trauen wir uns auch, Überlegungen anzustellen, was zu tun ist, wenn es einen Terroranschlag in Deutschland gibt. Und lassen wir es nicht zu, dass Politiker wie etwa der CSU-Mann Markus Söder sich die Angst der Menschen für parteipolitische Zwecke zunutze macht. Söder sprach einen vermeintlich harmlosen Satz aus: „Paris ändert alles.“ Doch Paris ändert nichts. Paris ist die Bestätigung all dessen, was bekannt ist. Neu ist nicht einmal die Brutalität, mit der die Mörderbanden vorgingen. Krisenkommunikation nach Art Söders verunsichert. Aber anders als de Maizière instrumentalisiert Söder die Leichen von Paris. Der Bayer will nämlich eine ganz andere Debatte führen, eine über den Zustrom der Flüchtlinge, den es zu stoppen gelte. Er will den Leuten unterjubeln, dass die Flüchtlinge eine Gefahr in sich bergen, die sie nach Deutschland mitbringen. Eine Gefahr, über die es keine gesicherten Fakten gibt – dafür aber genug gefährliches Gedankengut. Wer so spricht, verrät, wie groß seine Ressentiments sind gegenüber Asylbewerbern, Ausländern und Muslimen. Wer so redet, sorgt dafür, dass Hemmschwellen sinken. Gefährlich ist auch die Rhetorik des französischen Präsidenten François Hollande. Man mag Verständnis haben für die Bestürzung angesichts des Massakers von Paris, man versteht, dass ein Präsident seinem Volk Entschlossenheit demonstrieren will, man fühlt, dass das Herz und nicht der Verstand die Oberhand gewinnt, wenn er sagt: „Wir müssen erbarmungslos sein. () Frankreich ist im Krieg.“ Doch Hollandes Beharren auf dieser Rhetorik auch Tage nach dem Blutbad lässt wenig Gutes erahnen. Seit dem 11. September 2001 ist doch klar, wie die Optionen aussehen. Es fallen Bomben auf die islamistischen Zellen in Syrien, ohne dass damit ein Ziel verbunden ist, außer diese auszulöschen. Wie erfolgreich eine solche Strategie ist, sieht man in Afghanistan. Trotz Tausender Opfer und immens hoher Kosten erobern die Taliban ihre alten Herrschaftsgebiete mit Gewalt zurück. Sie machen dort weiter, wo sie einst vertrieben wurden, nur härter, erbarmungsloser. Aus den zerstörten Strukturen entsteht neuer Terror. Das Präsidenten-Wort vom „Krieg“ sollte auch nach innen wirken. Fatal ist, dass es bei den Bürgern die Hoffnung weckt, man könne diesen Krieg auch gewinnen, weil man ohnehin überlegen sei. Die Enttäuschung darüber, dass dies auf eine solche Weise nicht gelingen wird, könnten sich schon bald einstellen. Würde Hollande auf die hoffnungslosen Ghettos in den französischen Städten schauen, auf das soziale Gefälle vor seiner Haustür und auf den Elitedruck, dem seine Landeskinder ausgesetzt sind, hätte er genug Fronten, an denen er etwas für den Frieden tun könnte – im eigenen Land.

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