Meinung Warum die Kulturszene so anfällig für Antisemitismus ist

Ben Russell, Guillaume Cailleau, Servan Decle und Jay Jordan (v.l.) mit dem Preis der Jury von Encounters für den besten Film Di
Ben Russell, Guillaume Cailleau, Servan Decle und Jay Jordan (v.l.) mit dem Preis der Jury von Encounters für den besten Film Direct Action bei der Closing Ceremony mit Preisverleihung auf der Berlinale 2024 entgegen. Sie nutzten ihre Rede, um den Nahost-Krieg zu thematisieren.

Die Freiheit der Kunst endet dort, wo die Würde des Menschen in Frage gestellt wird. Auf der Berlinale wurde diese mit Füßen getreten. Und niemand hat dagegen aufbegehrt.

Was ist da eigentlich los in der deutschen wie internationalen Kulturszene? Erst die Documenta im vergangenen Jahr, jetzt der Berlinale-Skandal, und während wir noch über dessen Konsequenzen diskutieren, kommen tausende von Künstlern mit einer Petition um die Ecke, die fordert, Israel von der Biennale in Venedig auszuschließen. Woher kommt diese israelfeindliche, antisemitische Haltung, die im Kunstbetrieb ja nicht erst seit der militärischen Antwort Israels auf den Terrorangriff der Hamas zu beobachten ist?

Es gibt spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ein Narrativ, das besagt, wer Künstler und damit im Regelfall auch Intellektueller ist, der habe links zu sein. Was historisch natürlich völliger Unsinn ist, ein Autor wie Thomas Mann war sicherlich ein großartiger Künstler, links aber war er bestimmt nicht. Aber schon ein Martin Walser musste schmerzhaft erfahren, was es in diesem Land bedeutet, wenn man sich deutlich zu seiner konservativen Haltung bekennt. Dass die politische Linke immer noch unterschwellig israelfeindlich ist, könnte man damit erklären, dass sie ihren einst vom SED-Regime verordneten Israelhass nie wirklich aufgearbeitet hat. Aber warum hält sich dieser Antisemitismus auch in der Kunstszene? Dafür gibt es eine Reihe von Gründen.

Die links-intellektuelle Künstlerszene verwechselt offensichtlich Gut und Böse

Es ist zunächst einmal so, als würde hier der sogenannte Salon-Antisemitismus des 19. Jahrhunderts in einer neuen Spielart wieder aufleben. Damals brauchte man in bürgerlich-konservativen Kreisen den jüdischen Geschäftspartner, aber im eigenen Salon wollte man ihn lieber nicht begrüßen. Die Künstler des 19. Jahrhunderts dagegen suchten den Kontakt zu den jüdischen Mitbürgern, weil diese nicht selten als großzügige Mäzene der Kunst agierten. Wie konnte sich das so umkehren? So, wie es sich für die bürgerliche-christliche Gesellschaft damals nicht schickte, mehr als geschäftlichen Kontakt zu Juden zu haben, so gehört spätestens seit dem Vietnam-Krieg der Anti-Amerikanismus zum guten Ton in links-intellektuellen Künstlerkreisen. Und wer die USA ablehnt, der lehnt auch Israel ab. Zu eng sind die beiden Staaten miteinander verbunden, als dass man sie voneinander trennen könnte. Zugleich wird der Kapitalismus als das personifizierte Böse angesehen, und man geht wohl nicht zu weit, zu behaupten, dass hier das widerliche Vorurteil vom Finanz-Judentum, das die Welt ausbeutet, noch immer fortlebt.

Schließlich: Die links-intellektuelle Künstlerszene leidet unter einem Helfer-Syndrom. Man will so sehr um jeden Preis Gutmensch sein, dass man offensichtlich nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden kann. Wer aber stets nur die eine Seite des Nahost-Konflikts sehen will, nur die ja durchaus zu kritisierende israelische Palästina-Politik, nicht aber den menschenverachtenden Terror der Hamas, der sollte sich nicht hinter der Kunstfreiheit verstecken. Denn die Menschenwürde der zu Tode gequälten israelischen Geißeln und jener, die noch immer in der brutalen Gewalt der Hamas sind, sie wiegt mehr als die Kunstfreiheit. Wenigstens die grüne Kulturstaatsministerin Claudia Roth hätte das bei der skandalösen Berlinale-Gala deutlich machen müssen. Nur wie? Sie entstammt ja demselben intellektuellen Milieu.

Zum Thema: Debatte um Berlinale geht weiter

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