Politik US-Regierung will neue taktische Atomwaffen anschaffen

Kritiker Donald Trumps sprechen von einem gefährlichen Irrweg, Befürworter von nüchternem Realismus in einer Welt voller Gefahren: Die Vereinigten Staaten wollen ihr nukleares Arsenal um Atomwaffen mit geringerer Sprengkraft ergänzen, damit nach der Logik des Pentagon Rivalen wie Russland oder China auch künftig glaubhaft abgeschreckt werden.

Es ist der bisher deutlichste Schritt, dass der 45. US-Präsident abrückt von der Strategie seines Vorgängers Barack Obama, der einst die Vision einer Welt ohne Nuklearwaffen beschwor und zumindest in kleinen Schritten darauf hinarbeitete. Verteidigungsminister James Mattis begründet den Kurswechsel mit der Tatsache, dass sowohl Moskau als auch Peking aufrüsten, ihre Kernwaffen modernisieren, „sich in die entgegengesetzte Richtung bewegten“, während die USA ihre Bestände reduziert hätten. Zudem, so der ehemalige Viersternegeneral, strebe Nordkorea im Widerspruch zu UN-Resolutionen nach Nuklearraketen. Iran habe sich zwar einstweilen Beschränkungen unterworfen, doch sei das Land unverändert in der Lage, binnen zwölf Monaten eine Atombombe zu bauen, falls seine Führung entsprechend entscheide. „Wir müssen der Realität ins Auge sehen und die Welt so sehen, wie sie ist, nicht so, wie wir es uns wünschen“, schreibt Mattis im Vorwort des „Nuclear Posture Review“ (NPR), einer Analyse zur Überprüfung der amerikanischen Atompolitik, wie sie jede US-Regierung mindestens einmal vorlegen muss. Barack Obama, steht zwischen den Zeilen, habe das Weltgeschehen allzu oft durch die rosarote Brille betrachtet. Kern des neuen Ansatzes ist die Absicht, sogenannte taktische Atomsprengköpfe zu entwickeln. Während das Pentagon von Waffen geringen Ertrags spricht, legen Fachleute Wert darauf, den verharmlosenden Begriff zu hinterfragen: Jeder dieser Sprengköpfe habe mindestens die Wirkung der Atombomben, die 1945 über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen wurden. Unter extremen Umständen, so der NPR, könnten solche Waffen auch als Antwort auf eine nichtnukleare Attacke eingesetzt werden. Experten wie Ernest Moniz und Sam Nunn, der eine Obamas Energieminister, der andere als Senator maßgeblich an Abrüstungsinitiativen beteiligt, übersetzen es so: Sollten die USA zur Zielscheibe eines massiven Cyberangriffs werden, könnten im Gegenzug taktische Sprengköpfe zum Einsatz kommen. Damit, warnen sie, stiege das Risiko fataler Fehleinschätzungen. „Sollte eine Cyberattacke einen Großteil unseres Stromnetzes lahmlegen, wären wir dann in der Lage, schnell und zweifelsfrei zu bestimmen, aus welchem Land die Attacke kam?“, fragen beide. Überhaupt würde eine nukleare Katastrophe wohl am ehesten durch einen Irrtum ausgelöst. US-Präsidenten seien schon mehrfach vor vermeintlich heranfliegenden russischen Atomraketen gewarnt worden, und jedes Mal habe es sich um falschen Alarm durch technisches oder menschliches Versagens gehandelt. Heute könnten Hacker Frühwarnsysteme manipulieren und Angriffe vortäuschen. Sich in angespannter Weltlage vom nuklearen Abrüstungsziel zu verabschieden, sei schon deshalb falsch, mahnen Moniz und Nunn. „Glauben wir wirklich, dass wir ein Desaster für immer verhindern können in einer Welt, in der neun Staaten Atomwaffen besitzen und in der es an Misstrauen in den Beziehungen zwischen manchen von ihnen nicht mangelt?“ In einem zweiten, weniger beachteten Schritt will das Pentagon U-Boote wieder mit atomar bestückten Marschflugkörpern ausrüsten. Vor 27 Jahren war es George Bush der Ältere, der derartige Cruise Missiles von Amerikas Unterseebooten entfernte. Später ließ Obama sie ganz aus dem Waffenarsenal nehmen. Mattis spricht nun von einer wohlüberlegten Option, die man brauche, um flexibler als bisher agieren zu können.

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