Politik Solidarität mit den Juden

«Berlin.» Es steht nicht gut um die Toleranz in Deutschland. Darüber können auch die 2500 bis 3000 Menschen gestern Abend in Berlin nicht hinwegtäuschen, die unter dem Motto „Berlin trägt Kippa“ Solidarität mit den Juden hierzulande zeigen wollten.

Die jüdische Gemeinschaft in diesem Land lebt wieder in Angst. Das wird seit der antisemitischen Attacke eines mutmaßlichen syrischen Flüchtlings auf einen Kippa tragenden Israeli vergangene Woche in Berlin schmerzhaft deutlich. Der Fall löste große Empörung aus, es gab viele Solidaritätsadressen aus Politik und Gesellschaft. Dabei ist das kein Einzelfall, wie der Präsident des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, auf der Kundgebung vor dem Jüdischen Gemeindehaus in der Fasanenstraße in Berlin aufzählt: Vor sechs Jahren wurde Rabbiner Daniel Alter in Berlin-Friedenau überfallen und zusammengeschlagen, die Täter sind bis heute nicht gefasst. Zwei Jahre später wird ein israelisches Ehepaar auf dem Kudamm mit „Nazimörder Israel“ beschimpft. 2016 beleidigen Kontrolleure in der S-Bahn israelische Touristen mit antisemitischen Sprüchen. Ende 2017 brennen auf Demonstrationen israelische Fahnen. Wenig später wird ein israelischer Gastronom in Berlin-Schöneberg auf übelste Weise beschimpft. Vor zwei Wochen werden die Rapper Kollegah und Farid Bang, die in ihren Texten Opfer der Schoah verhöhnen, mit dem „Echo“ ausgezeichnet. Und dann der Angriff auf den Kippa-Träger im Prenzlauer Berg. „Es reicht!“, sagt Schuster bei der Kundgebung und fordert ein Ende falsch verstandener Toleranz. „Es bringt unserer Gesellschaft nichts, eine Harmoniesoße über alles zu kippen. Wer sich den Spielregeln widersetzt, die unser Grundgesetz festlegt, der darf nicht mit Toleranz rechnen.“ Die jüdischen Gemeinden in Deutschland machten sich große Sorgen über diese Realität, so Schuster. Ein „Weiter-so“ dürfe es nicht geben. Die Juden in Deutschland stünden mit ausgestreckter Hand da. „Doch unsere Geduld ist begrenzt“, sagt der Zentralratspräsident. „Deshalb fordern wir 100 Prozent Respekt für Juden, für Muslime, für Ausländer, für Homosexuelle und für alle Hautfarben.“ Von der Kundgebung in Berlin und denen in anderen Städten soll ein Signal ausgehen, sagen viele der Redner aus Politik und Gesellschaft. „Antisemitismus hat in Deutschland keinen Platz.“ Einer der Redner in Berlin, der Ex-Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir, führt dann deutlich vor, warum das noch ein langer Weg sein wird. „Wieso musste die Jüdische Gemeinde zu einer Solidaritätskundgebung aufrufen“, fragte Özdemir. „Wieso haben nicht wir von der Mehrheitsgesellschaft das gemacht? Da liegt doch schon der Fehler.“

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