Politik Schiffbruch mit Ansage

Botschaften gingen ins Leere, es fehlte an Planung und Zusammenarbeit, Führung und Mittelbau der Partei haben sich auseinandergelebt – die Analyse des Bundestagswahlkampfes der SPD ist schonungslos. Dass die Partei damit offen umgeht, ist ein erster Hinweis auf den Erneuerungswillen der Sozialdemokraten.

Das 108-seitige Dossier spricht eine klare Sprache, nichts wird pseudo-wissenschaftlich verkleistert, Fehler und Defizite werden konkret beschrieben. Die Lektüre dürfte jeden Sozialdemokraten trübsinnig machen – so derart viel ist in den Augen der Analysegruppe schief gegangen. Zu deren Autoren zählen unter anderem der frühere „Spiegel“-Journalist Horand Knaup und der erfahrene Wahlkampfprofi Frank Stauss, der in Rheinland-Pfalz den Landtagswahlkampf von Malu Dreyer steuerte. Grundlage der Analyse sind über 100 Interviews, die unter anderem mit Mitarbeitern der Wahlkampf-Kampagne, Abgeordneten und Wahlforschern geführt wurden, um Eindrücke aus unterschiedlichen Perspektiven zu erhalten. Was die Interviewer zu hören bekamen, hat sie überrascht: „Die Offenheit vieler Genossen war beeindruckend, nicht wenige ließen dabei einen gehörigen Leidensdruck erkennen“, schreibt die Arbeitsgruppe in der Einleitung. Am Ende steht ein ernüchterndes Fazit: „Die SPD ist ein Sanierungsfall.“ Die Probleme des SPD-Wahlkampfs haben nach Meinung der Autoren schon Jahre zuvor begonnen. So habe es zu keinem Zeitpunkt der Ära des Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel ein belastbares Vertrauensverhältnis zwischen dem Parteivorsitz und dem Generalsekretariat gegeben. „Sowohl zu Andrea Nahles als auch zu Yasmin Fahimi und Katarina Barley war Gabriels Verhältnis nach kürzester Zeit zerrüttet.“ Gabriel habe Beratungsstrukturen um die Generalsekretärinnen herum aufgebaut oder direkt in deren Zuständigkeiten eingegriffen. Die Mitarbeiter des Willy-Brandt-Hauses seien zum Spielball undurchsichtiger Machtkämpfe geworden. Und alle schauten zu. „Zur Wahrheit gehört, dass die gesamte Parteiführung nicht den Mut hatte, dem Parteivorsitzenden Einhalt zu gebieten.“ Falsch lief so manches. Die Nominierung von Martin Schulz: ein Gabriel-Geheimkommando; der Beginn der Wahlkampagne: ohne Konzept; der Kandidat: völlig unvorbereitet. „Sie (die Kampagne) hatte nichts: Keine Strategie, keine frischen Themen, kein eingespieltes Team und keine Idee.“ Die Mitarbeiter der Parteizentrale hätten nach Führung und Orientierung gesucht, nach planbaren Budgets und einer belastbaren Strategie. Auch der Kandidat, Martin Schulz, wird von der Analysegruppe nicht verschont. Er habe rhetorisch oft im Nebel gestochert, der Kanzlerin zu oft das Spielfeld überlassen und zu häufig „mittelmäßige Interviews“ gegeben. Die meisten seiner vorgelesenen Reden seien sowohl pointen- als auch überraschungsfrei gewesen. Manchmal sei es sogar besser gewesen, wenn niemand über einen Schulz-Auftritt geschrieben habe. Beispiel: „6. Juni 2017: Schulz spricht bei VW in Wolfsburg vor 16.000 Beschäftigten. Er kommt zu spät, hält eine Standardrede und macht sich mit dem Auftritt wenig Freunde. Sein Glück: Die Veranstaltung ist nichtöffentlich.“ Breiten Raum nimmt in der Analyse die Arbeit der SPD mit den Medien ein, Überschrift: „Riesiges Kommunikationsloch“. Die Autoren der Studie stellen fest, dass es bei der SPD überhaupt keine Medienstrategie gibt: „Eine strategische Kommunikation, die Themen zu bestimmten Terminen setzt, Sprachregelungen entwickelt, Themen durchhält und dafür auch die parteiinterne Unterstützung organisiert, existierte nicht.“ Interessant zu erfahren ist auch etwas, was Berliner Journalisten schon lange beobachten: „Einzelne Medien wurden offensichtlich bevorzugt“, und Entscheidungen für oder gegen Interviews hätten sich unhaltbar in die Länge gezogen. Auch das ist nicht neu: Die Zusammenarbeit der SPD mit Regionalzeitungen sei „wenig professionell“ gewesen. Sinngemäß heißt es in der Analyse, man habe den Wert der Regionalzeitungen nicht erkannt und sie zu oft ignoriert. Zudem seien in der Parteizentrale die Möglichkeiten der digitalen Welt und ihrer Methoden „geradezu sträflich vernachlässigt“ worden. Dagegen seien die SPD-Mitglieder durch eine Flut „nichtssagender Mails“ belästigt worden. Damit sei zumindest teilweise auch zu erklären, warum viele Mitglieder sich hartnäckig weigerten, der Partei ihre Mailadresse zu überlassen, folgern die Autoren. SPD-Chefin Andrea Nahles hat gestern erste Konsequenzen angekündigt. So will sie die Frage der Kanzlerkandidatur für die Bundestagswahl 2021 früh klären. Auch müsse das SPD-Profil klar erkennbar sein, allein in der Flüchtlingspolitik gebe es enormen Klärungsbedarf.

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