Politik Russlands Mitschuld am Massaker in Ost-Ghouta

In Ghouta kämpfen Dschihadisten, aber es leben dort auch Hunderttausende Zivilisten wie dieser Junge. Die Aufnahme wurde am Donn
In Ghouta kämpfen Dschihadisten, aber es leben dort auch Hunderttausende Zivilisten wie dieser Junge. Die Aufnahme wurde am Donnerstag gemacht.

Das syrische Rebellengebiet Ost-Ghouta erlebt eine blutige Angriffswelle. Kritiker werfen Moskau vor, an der Eskalation mitschuldig zu sein.

Die Bomben und Granaten schlagen täglich ein, oft über Stunden. Auch am Donnerstagmorgen sind Explosionen zu hören, als der Aktivist Masen al-Schami über Telefon die Lage in dem eingeschlossenen Rebellengebiet nahe der syrischen Hauptstadt Damaskus beschreibt. „Dutzende Granaten fallen jede Minute“, sagt Masen. Wegen der Angriffe könne sich niemand auf die Straße wagen, nicht einmal die Helfer, um Verletzte zu versorgen. Dann schreit Masen al-Schami plötzlich nach einer lauten Explosion. Im nächsten Moment ist die Leitung unterbrochen. Erst Stunden später ist der Aktivist wieder zu erreichen. Seit fast einer Woche erlebt Ost-Ghouta die schlimmste Angriffswelle der Truppen von Syriens Machthaber Baschar al-Assad seit Beginn des Bürgerkriegs vor fast sieben Jahren. Bilder zeigen Leichen unter Trümmern und Straßenzüge in Schutt und Asche. Mehr als 300 Zivilisten wurden Aktivisten zufolge seit Sonntag getötet, mehr als 1700 verletzt. In den Kliniken gehen die Medikamente und Materialien aus. Mehrere Krankenhäuser wurden getroffen und sind außer Betrieb. Seit 2013 belagern syrische Regierungstruppen das Gebiet, Güter kommen – wenn überhaupt – nur über Schmugglertunnel hinein. Das Assad-Regime spricht von einem reinen Anti-Terror-Kampf und verweist auf Granatenbeschuss durch die Rebellen. Rund 400.000 Menschen sind in Ost-Ghouta fast vollständig von der Außenwelt abgeschlossen. Wegen der Blockade sind Nahrungsmittel knapp, Strom gibt es ohnehin nicht, Benzin für Generatoren wird immer teurer. Hilfstransporte dürfen kaum noch nach Ost-Ghouta. Vor rund einer Woche erreichte ein Konvoi die Region, der erste nach mehr als zwei Monaten. An Bord der Lastwagen waren gerade einmal Güter für 7200 Menschen. Oppositionelle werfen der Regierung in Damaskus vor, die Hilfe absichtlich zu blockieren. Sie geben auch Russland, Syriens Schutzmacht, eine Schuld an der Eskalation. Moskau habe im vergangenen Jahr ein Abkommen über den Abzug der 240 in Ost-Ghouta aktiven Anhänger des Terrornetzwerks Al Qaida nicht umgesetzt, sagte der Sprecher der islamistischen Miliz Failak al-Rahman, Wail Olwan, in einem TV-Interview. Demnach wollte Russland die Dschihadisten in dem Gebiet lassen, um einen Vorwand für Angriffe zu haben. Eine politische Lösung sieht Olwan nicht: „Eine politische Lösung heißt nach russischer Lesart Bombardierung von Zivilisten, Zerstörung der Infrastruktur, Blockade und Aushungern bis zu Kapitulation gegenüber Assad.“ Nicht nur Aktivisten aus Ost-Ghouta, sondern auch regierungstreue syrische Medien berichten, russische Jets seien an den Angriffen beteiligt. Eine Quelle im Moskauer Verteidigungsministerium bestätigte der angesehenen Zeitung „RBK“, russische Kampfflugzeuge seien über Ost-Ghouta im Einsatz. Ob diese auch Bomben werfen, ließ der Informant aber offen. Die Führung in Moskau weist eine Verwicklung in die Kämpfe von sich. „Das ist haltlos, völlig unklar, worauf die Vorwürfe basieren“, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow. Der russische Nahostexperte Anton Mardassow hält es für möglich, dass Syrien den Einsatz mit Russland abgestimmt hat unter dem Vorwand des Kampfes gegen Terrorgruppen. Doch diese gebe es dort kaum: „Ost-Ghouta ist ein großes sunnitisch geprägtes Oppositionsviertel in der Nähe der Hauptstadt. In Wirklichkeit führen die regierungstreuen Truppen einen Einsatz gegen die moderate Opposition“, so Mardassow. Ost-Ghouta gehört zu einer von vier „Deeskalationszonen“, die unter Vermittlung der „Garantiemächte“ Russland, Iran und Türkei in Astana verhandelt wurden. Doch der Frieden kehrte nie ein. Mehrfach scheiterten Anläufe für eine Waffenruhe. Der kremlnahe Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow hat keinen Zweifel, dass es Moskau darum geht, seinen Einfluss im Nahen Osten auszuweiten und als Regionalmacht dort eine Lücke zu füllen, die die USA in den vergangenen Jahren gelassen haben. Aber: „Einfluss hat wie immer zwei Seiten: eine Erweiterung der Möglichkeiten, aber auch eine höhere Verantwortung“, schrieb er in der „Rossijskaja Gaseta“.

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