Ukraine-Krieg Russland-Politik: SPD-Chef Klingbeil sucht Gespräch mit Historikern

Der Historiker Heinrich August Winkler ist seit 1962 SPD-Mitglied.
Der Historiker Heinrich August Winkler ist seit 1962 SPD-Mitglied.

SPD-Chef Lars Klingbeil will sich Ende April mit fünf Historikern treffen, die alle seiner Partei angehören und in einem gemeinsamen Brief an den SPD-Vorstand massive Kritik an der Russland-Politik ihrer Partei geübt haben.

Der Brief erregte großes Aufsehen wohl vor allem, weil einer der fünf Autoren der 85-jährige Heinrich August Winkler ist, der sowohl innerhalb als auch außerhalb der SPD so hohes Ansehen genießt wie kaum ein anderer deutscher Historiker.

Initiiert haben den Brief Martina Winkler (die als Professorin an der Universität Kiel lehrt und nicht mit Heinrich August Winkler verwandt ist) und Dirk Schumann von der Georg August Universität in Göttingen. Unterzeichnet haben ihn auch Gabriele Lingelbach, in Kiel Kollegin von Martina Winkler, und Jan Claas Behrends, der die Professur „Diktatur und Demokratie – Deutschland und Osteuropa von 1914 bis zur Gegenwart“ an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) inne hat.

Vorwurf: Realitätsverweigerung

In dem Brief attestieren die Historiker der Russland-Politik ihrer Partei „Realitätsverweigerung“. Mit ihrer Politik spiele die SPD „Russland in die Hände“. Die „unter dem Schlagwort Friedenspartei“ verfolgte Politik ignoriere das Geschehen in den russisch besetzten Gebieten und Moskaus Drohungen, „weitere europäische Länder anzugreifen“. „Wenn Putin keine Grenzen gesetzt werden“, steige die Eskalationsgefahr. Dass der Brief so viel Aufmerksamkeit fand, lag wohl auch daran, dass fast gleichzeitig der SPD-Außenpolitiker Michael Roth, der in der SPD einer der engagiertesten Unterstützer der Ukraine ist und sich damit in der Partei offenbar zunehmend einsam fühlt, seinen Rückzug aus der Politik bekannt gab.

Der SPD-Verteidigungspolitiker Andreas Schwarz kann die Kritik der Wissenschaftler zum Teil nachvollziehen. „Ich glaube, wir sind da vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch zu gutgläubig, weil wir einfach seit 89 von der Friedensdividende verwöhnt sind“, sagte er. „Natürlich muss man auch als Deutschland in so eine neue Führungsrolle reinwachsen.“ Man habe 2022 in der SPD einen Paradigmenwechsel etwa beim Thema Waffenlieferungen in Kriegsgebiete vollzogen, der sicherlich noch nachwirke. Manche in der Partei schafften das schneller und andere brauchten ein bisschen mehr Zeit, sich mit den neuen Gegebenheiten in der Welt anzufreunden. Uneinigkeit innerhalb der Partei könne von Russlands Präsident Wladimir Putin „nur als Ermunterung“ verstanden werden, hieß es in dem Brandbrief der Wissenschaftler. SPD-Politiker Andreas Schwarz teilt diese Auffassung: „Was Putin versteht, ist Stärke und Härte“, sagte er im Deutschlandfunk. „Er will das Recht der Stärkeren, während wir auf die Stärke des Rechts setzen.“ Daher sollte die westliche Welt ihm mit Geschlossenheit, mit Härte und auch Stärke begegnen. „Nur so bekommt man ihn an den Verhandlungstisch“, sagte Schwarz dem „Spiegel“.

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