Politik Mittlere Qualifikationen werden weniger nachgefragt

«Berlin.» In den Industrieländern kommt es zu einer Spreizung auf dem Arbeitsmarkt: Der Anteil der Personen mit mittlerer Qualifikation geht zurück. Zugleich steigt die Nachfrage der Unternehmen nach Menschen mit überdurchschnittlicher und geringer Qualifikation.

Zu diesem Ergebnis kommt die OECD, ein Zusammenschluss von 35 Industrieländern, in ihrem neuen Beschäftigungsausblick, den Generalsekretär Angel Gurría gestern vorstellte. Gurría sagte, die Polarisierung am Arbeitsmarkt sei in fast allen Industrieländern zu beobachten. Diese Entwicklung führe zu vermehrter Kritik an der Globalisierung. Der Anteil der Jobs für Personen mit mittleren Fähigkeiten ist, gemessen an der Gesamtbeschäftigung, in den vergangenen zwei Jahrzehnten um zehn Prozentpunkte gesunken – zugunsten von Arbeitsplätzen mit hoher beziehungsweise niedriger Qualifikation. Die OECD erklärt das Phänomen vor allem mit dem Wandel von der Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Die Forscher beobachten, dass Menschen, die früher gut bezahlte Jobs in der Industrie hatten, nach dem Abbau von Arbeitsplätzen nur eine schlechter bezahlte Beschäftigung im Dienstleistungsbereich fanden. Die Menschen in den Industrieländern machten sich Sorgen um ihren Arbeitsplatz, ungleiche Einkommen und das Abrutschen der Mittelschicht. Grund für den strukturellen Wandel der Arbeitswelt sei auch, dass die Unternehmen weniger Beschäftigte mit mittlerer Qualifikation suchten, sondern eher Hochqualifizierte und Geringqualifizierte nachfragten. Dies spiegele sich in der Einkommensentwicklung wider. Nach der OECD-Analyse sind vom Rückgang der Jobs mit mittlerer Qualifikation besonders stark Österreich, die Schweiz, Spanien und Irland betroffen. In Deutschland ist der Trend weniger stark ausgeprägt. Das führt der OECD-Chef auf die große Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland zurück. Positiv bewertet die OECD, dass die Arbeitslosigkeit in den Industrieländern auf den Stand vor der Finanzkrise 2008 gesunken ist. Im Vergleich der nationalen Arbeitsmärkte bescheinigt die OECD Deutschland „gute Werte bei den meisten Indikatoren“. So seien der Beschäftigungsstand und die Einkommensqualität hoch, die Arbeitslosigkeit und die Arbeitsmarktunsicherheit niedrig. Als Schwächen wertet die OECD den vergleichsweise hohen Anteil von Arbeitsplätzen mit „starkem arbeitsbedingtem Stress“ sowie die große Lohndifferenz zwischen Männern und Frauen. Letztere rühre vor allem daher, dass Frauen weniger Arbeitsstunden aufweisen als Männer. Um den Anteil von Frauen in Vollzeitarbeit zu erhöhen und deren Karrierechancen zu verbessern, schlägt die OECD eine niedrigere Besteuerung von Zweitverdienern vor.

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