Politik Leitartikel: Zerwürfnis unter Alliierten

Die Unterstützung der USA für die PKK-nahen nordsyrischen Kurden

wird zur schweren Probe für die Nato. Die Türkei stellt das

jahrzehntealte Bündnis grundsätzlich in Frage. Ankara steht noch zur Nato, aber es sucht gleichzeitig immer mehr die Nähe zu Moskau und Peking.

Rex Tillerson ist als US-Außenminister erst ein paar Monate im Amt, aber die Kunst der diplomatischen Untertreibung beherrscht er wie ein altgedienter Profi. Die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei seien derzeit „ein wenig unter Stress“, sagte Tillerson vor einigen Tagen. In Wirklichkeit ist das Zerwürfnis zwischen Washington und Ankara dramatisch. Mehr als je zuvor treiben die gegensätzlichen Interessen der Türkei und der USA im Syrien-Konflikt einen Keil in die Jahrzehnte alte Partnerschaft. Aus türkischer Sicht erscheint Amerika inzwischen in einem so schlechten Licht, dass sich die Frage stellt, ob das Verhältnis wieder repariert werden kann. Die jüngste Eskalation speist sich aus mehreren Quellen, die alle mit der amerikanischen Unterstützung für die kurdische Miliz YPG in Syrien zusammenhängen. Die Trump-Regierung sieht – wie schon die Obama-Administration – die YPG als wichtigsten Helfer im Kampf gegen den „Islamischen Staat“ (IS). Dagegen betrachtet die Regierung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die Kurdenkämpfer als Anhänger der verbotenen Terrorgruppe PKK. Damit hat sie zwar recht. Aber umgekehrt ist auch Washingtons Politik nachvollziehbar, denn allein mit Luftangriffen ist der IS nicht zu besiegen. Die YPG hat sich, im Verbund mit arabischen Stammesmilizen aus dem Osten Syrien, als schlagkräftige Truppe erwiesen. Wie sehr dies in der Türkei aufstößt, zeigen fast täglich die Schlagzeilen in den Medien: „Es regnet Kalaschnikows“, titelte die Zeitung „Hürriyet“ kürzlich angesichts einer neuen Waffenlieferung der USA an die syrischen Kurden. Ankara, das selbst Truppen in Syrien und auch in Irak hat, befürchtet, dass das amerikanische Arsenal eines Tages gegen türkische Soldaten eingesetzt werden könnte. Schon jetzt sieht sich die Türkei zurückgedrängt. Ihre Offensive in Syrien, die vor einem Jahr begann, hat nicht viel gebracht. Bei einem Besuch in Washington im Mai hatte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan vergeblich versucht, US-Präsident Donald Trump zu einer Änderung der amerikanischen Syrien-Politik zu bewegen. Erdogan wertet die Entscheidung Washingtons zur Bewaffnung der YPG als Vertrauensbruch, der die Grundfesten des Verhältnisses zwischen den seit mehr als einem halben Jahrhundert verbündeten Ländern erschüttert. Anders als im Streit mit der EU, wo es „nur“ um wirtschaftliche Interessen geht, sieht die Türkei durch die Haltung der USA in Syrien die eigene nationale Sicherheit direkt bedroht. Äußerungen des US-Gesandten für den Kampf gegen den IS, Brett McGurk, lassen die Wut in der türkischen Hauptstadt weiter wachsen. McGurk wirft der Türkei vor, sie habe die nordwest-syrische Region Afrin an der türkischen Grenze zu einem Tummelplatz der Terrororganisation Al Qaida werden lassen. Kämpfer und Waffen seien über die Türkei nach Afrin gelangt. Ankara weist dies zurück. Längst verbreiten regierungstreue Medien in der Türkei Verschwörungstheorien: Die USA wollten nicht nur den IS besiegen, sondern auch die Türkei kleinhalten. Die Amerikaner wollten in Syrien einen Kurdenstaat unter ihrer Kontrolle errichten, heißt es immer wieder. Das Zerwürfnis zwischen Ankara und Washington könnte konkrete Folgen für die Nato haben. Gespräche der Erdogan-Regierung mit Moskau über die Lieferung eines russischen Raketenabwehrsystems an die Türkei sind offenbar weit gediehen. Auch mit China sucht die Türkei engere Beziehungen.

x