Politik Leitartikel: Machtambitionen

Die Grenzspannungen zwischen Indien und China nehmen zu.

Wie im südchinesischen Meer will China auch hier Fakten schaffen.

Peking droht dem Nachbarn nun offen mit Krieg. Vordergründig geht es um ein Stück Land im Himalaja. Doch China will seine Macht demonstrieren.

Wenn sich Indiens Premierminister Narendra Modi und Chinas Staatspräsident Xi Jinping treffen, dann lächeln sie in die Kameras und schütteln sich, wie zuletzt auf dem G-20-Gipfel in Hamburg, die Hände. Doch das freundliche Bild täuscht. Seit einem Monat verschlechtert sich das beiderseitige Verhältnis von Tag zu Tag. Nun droht China dem Nachbarn sogar offen mit Krieg. Xi Jinping selbst tut das nicht persönlich. Vielmehr lässt er sich von seiner bewährten Propagandamaschine, der chinesischen „Global Times“, dazu auffordern, Indien endlich eine zweite Lektion zu erteilen, bei der es schlimmere Verluste erleiden würde als 1962. Gemeint ist der einmonatige Krieg zwischen den asiatischen Rivalen, der Indien völlig unvermittelt traf und 3000 indische Soldaten das Leben kostete. Vordergründig geht es in dem Streit um das Doklam Plateau, ein Stück Land 3000 Meter hoch im Himalaja, im Dreiländereck China-Bhutan-Indien. Dort haben chinesische Truppen begonnen, eine Straße zu bauen. Bhutan, durch Freundschaftsvertrag mit Indien verbunden, bat daraufhin Delhi, dies zu stoppen – was auch geschah. Nun aber stehen sich dort je 3000 Soldaten der nuklear gerüsteten Staaten praktisch Auge in Auge gegenüber. Keiner will zurückweichen. Indien sieht die Straße als eine Bedrohung für den 27 Kilometer langen „Hühnerhals“, die einzige Verbindung seiner nordöstlichen Bundesstaaten mit dem Rest des Landes. China erklärt, die Volksbefreiungsarmee lasse sich niemals aufhalten, schon gar nicht, wenn es um die Souveränität des Landes gehe. Dann würde die Sicherheit, koste es was es wolle, verteidigt. Seitdem werden weitere Truppen und Material herangeschafft, und es wird mit einer zweiten Front gedroht – Kaschmir. Seit über einem halben Jahrhundert streitet Indien mit Pakistan um das Territorium, im indischen Teil herrscht seit einem Jahr wieder große Unruhe. Ein Eingreifen Chinas aufseiten Pakistans würde Indien empfindlich treffen. Chinesisch-indische Grenzstreitigkeiten sind eigentlich nichts Neues. Ende des 19. Jahrhunderts hatte ein britischer Kolonialbeamter die 3500 Kilometer lange Grenze auf den Berggipfeln mit einem dicken Bleistiftstrich recht undeutlich auf einer zerknitterten Landkarte eingezeichnet und damit den Grundstein für künftige Konflikte gelegt. Doch diesmal geht es nicht nur um strategische Interessen, diesmal geht es um mehr. China will nicht nur Indien, sondern dem Rest der Welt demonstrieren, dass es riskant und kostspielig sein könnte, sich mit der neuen Supermacht anzulegen. Einschüchterung und kriegerische Töne gehören zu dieser Strategie. Ebenso das Schaffen von Fakten. Das zeigt das Beispiel der chinesischen Expansion im südchinesischen Meer, wo Peking unbeirrt weiter Inseln und Stützpunkte baut. Schließlich gibt der Rückzug der Vereinigten Staaten aus der weltpolitischen Ordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen wurde, den Chinesen die Chance, eine neue Weltordnung mit Zentrum Peking aufzubauen. Indien, mit eigenen Supermachtambitionen, stört da nur. US-Präsident Donald Trump macht es den Chinesen leicht, ihre Strategie zur angestrebten Dominanz des internationalen Systems voranzutreiben. Indien, obwohl strategischer Partner der USA, wird von Trump vermutlich wenig Unterstützung erwarten dürfen. Und auch im derzeitigen Konflikt wollen weder China noch Indien nachgeben, weil das Gesichtsverlust bedeutete. Das verheißt nichts Gutes für die Zukunft.

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