Politik Leitartikel: Höhenrausch

Das Treffen der G-20 ist mit Erwartungen überfrachtet. Angesichts des

beachtlichen Konfliktpotenzials wäre schon viel erreicht, wenn die

Beteiligten sich darauf einigten, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen. Nichts hilft besser gegen

Ressentiments und vorgefasste

Meinungen als miteinander zu reden.

Politik, internationale zumal, kommt ohne Show nicht aus. Die Treffen der Mächtigen sind von jeher sorgfältige Inszenierungen. Je nach Empfindlichkeit der handelnden Personen kann eine misszuverstehende Geste, ein falscher Zungenschlag Gespräche scheitern lassen. Deshalb fallen Kommuniqués bei Staatsbesuchen meistens weniger durch ihre Eindeutigkeit auf als durch gedrechselte Formulierungen, die weiten Spielraum für Interpretationen lassen – um etwa Einigkeit zu demonstrieren, wo es durchaus handfeste Interessengegensätze gibt. Beim Besuch des chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping am Mittwoch in Berlin war dieses Phänomen aufs Schönste zu besichtigen. Vorsichtiger als es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in seiner Tischrede getan hat, kann man dem Chinesen nicht signalisieren, dass er es mit seiner robusten Konfrontationspolitik in den internationalen Gewässern Südostasiens nicht übertreiben möge: „Wer heute globale Verantwortung übernehmen will, für den sind Glaubwürdigkeit und Akzeptanz unverzichtbar“, sagte Steinmeier – und damit gleichzeitig alles und auch nichts. Nun ist das, was von solchen Besuchen nach außen dringt, nur die eine Seite. Es gibt die andere, die vertrauliche Ebene. Sie soll auf solchen Treffen wie jetzt der Gruppe der 20 größten Wirtschaftsnationen und Schwellenländer in Hamburg gepflegt werden. Die werden zwar gerne als „Gipfel“ überhöht, aber diese Bezeichnung weckt nur falsche Erwartungen. Bündige Entscheidungen sind nicht zu erwarten. Und was letztlich in der Schlusserklärung steht, dürfte wiederum so austariert sein, dass sich sämtliche Teilnehmer darin wiederfinden können. Auch die USA mit ihrem auf diplomatischem Feld völlig unerfahrenen Präsidenten Donald Trump. Die G-20 und ihre Gäste haben die seltene Gelegenheit, sich auszutauschen, ohne gleich zu Entscheidungen kommen zu müssen. Dieser Spielraum sollte ihnen gewährt werden – nichts hilft besser gegen Ressentiments und vorgefasste Meinungen als miteinander zu reden. Das ist leicht gesagt, aber schwierig getan. Egal ob sich die G-7 trifft oder die G-20 – die Erwartungen an diese Runden wachsen von Mal zu Mal. Was einerseits daran liegt, dass ein solches Treffen der Mächtigen und weniger Mächtigen beim Publikum oft den falschen Eindruck vermittelt, als hinge es ausschließlich vom guten Willen der Staats- und Regierungschefs ab, ob Probleme gelöst werden oder nicht. Die Politiker in ihrem selbst auferlegten Zwang zur Selbstdarstellung sind an dieser Fehleinschätzung freilich nicht unschuldig. Und ohne es zu wollen, trägt auch die Vielzahl an Demonstrationen, tragen sogar die Krawallmacher und Brandstifter dazu bei, dass die Bedeutung des „Gipfels“ von Hamburg womöglich weit überschätzt wird. Andererseits ist der dringende Wunsch nach baldigen Lösungen nur zu verständlich – türmen sich doch Großthemen wie der Klimaschutz, die globalen Wanderungsbewegungen, die Finanzkrisen und wirtschaftlichen Ungleichgewichte, ganz zu schweigen von den bewaffneten Konflikten, zu einem wahren Problemgebirge auf. Das Hamburger Treffen wird keinen Durchbruch bringen – weder in Sachen Klimaschutz, wo die neue US-Regierung auf der Bremse steht, noch bei der Überwindung der um sich greifenden protektionistischen Tendenzen. Es wäre schon als Erfolg zu werten, wenn die Beteiligten den Gesprächsfaden nicht ganz abreißen lassen. Die Chance besteht.

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