Politik Leitartikel: Die Lunte glimmt

Wenn Iran nichts mehr zu verlieren hat, brennt die Region.

Möglichkeiten, die zahlreichen Konflikte dort eskalieren zu lassen, hat

das Regime in Teheran mehr als genug: in Syrien, Irak oder Libanon. Wie in Syrien sind die USA auch in Irak verwundbar – weil sie dort

ebenfalls Truppen stehen haben.

Die Hauptfront im von US-Präsident Trump gekündigten Iran-Abkommen verläuft zweifelsohne zunächst zwischen den USA und Europa. Entscheidend ist die Frage, wie ernst es Washington mit der Sanktionierung europäischer Firmen ist, die Geschäfte mit Iran machen. Da dürfte das Regime in Teheran zunächst abwarten. Sollte es allerdings den Eindruck gewinnen, stranguliert zu werden, dann wird sich die Hauptfront ganz schnell in die Region Nahost verlagern. Der erste Austragungsort wird Syrien sein, der zweite Irak und der dritte Libanon. In Syrien ist Israel zuletzt vermehrt militärisch aktiv geworden. Wie Iran darauf reagieren wird, ist noch unklar. Die Iraner wissen: Die Europäer, die momentan der Iran-Politik der USA und Israels skeptisch gegenüberstehen, würden sich sofort an deren Seite stellen, sobald sich nur andeutet, dass Israel in Gefahr sein könnte. Schwer zu kalkulieren sind die Hardliner in Iran, deren Einfluss mit dem Atomabkommen abgenommen hatte. Der zweite Schauplatz des Konflikts: Irak. Wie in Syrien sind die USA auch dort verwundbar – nur dass die in Irak stationierten US-Truppen in den vergangenen Jahren faktisch mit den iranisch gesteuerten schiitischen Milizen gegen den „Islamischen Staat“ (IS) zusammengearbeitet haben. Fällt das weg, ist der IS der lachende Dritte. Zudem finden in Irak heute Parlamentswahlen statt. Der schiitische Regierungschef Abadi hofft, dass die Sunniten wieder Teil des politischen Systems werden, damit sie nicht ihr Heil beim IS und anderen militanten Islamisten suchen. Iran könnte jederzeit wieder Öl in Feuer gießen und die Schiiten in Irak aufwiegeln. Die Saudis würden dann dasselbe mit den Sunniten tun. In Libanon, dem dritten Schauplatz des Konflikts, hat sich die schiitische Hisbollah innenpolitisch bisher zurückgehalten, war Teil der Regierung der Nationalen Einheit des Premierministers Hariri. Nun hat die Hisbollah aber mit ihren Verbündeten die Mehrheit der Parlamentssitze gewonnen. Auch hier kann Iran das Feuer schüren – in direkter Nachbarschaft zu Israel. Am Erdölmarkt könnte ebenfalls einiges durcheinander geraten. Von einem erhöhten Ölpreis infolge der Krise um das Iran-Abkommen würde Saudi-Arabien profitieren. Aber fast das gesamte saudische Öl befindet sich im Osten des Landes. Dort ist die Mehrheit der Bevölkerung schiitisch – und unzufrieden, da die Schiiten in Saudi-Arabien wie Bürger zweiter Klasse behandelt werden. Immer wieder gab es dort kleinere Aufstände. Auch hier könnte Iran versuchen, eine größere Aufstandsbewegung anzuzetteln. Im Süden der Arabischen Halbinsel, in Jemen, sind die Saudis schon in einen Dauerkonflikt mit den ebenfalls von Iran unterstützten Huthi-Rebellen verwickelt. Alles wird davon abhängen, wie sehr sich das Regime in Teheran in die Ecke gedrängt fühlt. Sofern die USA die Europäer auf Sanktionslinie zwingen – wie verhalten sich Russland und China? Gemeinsam haben die beiden Mächte viele Möglichkeiten, die Sanktionen zu unterlaufen und Iran über Wasser zu halten. Waffen gibt es in Russland, Spitzentechnologie für die iranische Wirtschaft inzwischen auch aus China. Sobald die iranische Führung den Eindruck hat, nichts mehr zu verlieren, kann sie überall in der Region die Fronten in Bewegung bringen. Wer von den Akteuren – Iran, Israel, die USA, Saudi-Arabien, die EU, Russland oder China – als Gewinner vom Platz geht, ist offen. Die Verlierer stehen schon fest: die Menschen in der Region, die das alles ausbaden müssen.

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