Politik Leitartikel: Das Gesicht der EU

Will Manfred Weber EU-Kommissionspräsident werden, muss er zeigen,

dass er für Europa begeistern kann. Für ein Europa,

das wieder mehr Gemeinsamkeit braucht, um eine Zukunft zu haben. Schon durch den Brexit wird die

Europäische Union eine grundlegend neue Gestalt annehmen.

Kann der das? Diese Frage wird noch oft gestellt werden, wenn es um die Ambitionen Manfred Webers geht, Jean-Claude Juncker an der Spitze der EU-Kommission nachzufolgen. Keine Erfahrung als Regierungsmitglied, geschweige denn als Regierungschef – kann so einer den selbst- und machtbewussten Kanzlern, Premierministern und Präsidenten im Ringen um den künftigen Kurs der EU „auf Augenhöhe“ begegnen? Die Frage ist legitim. Unbestritten ist Weber ein überzeugter Europäer, der als Vorsitzender der konservativen EVP-Fraktion im EU-Parlament bewiesen hat, dass er in der Lage ist, unterschiedliche Interessen und Positionen auszugleichen und Bündnisse zu schmieden. Solche Fähigkeiten sind wichtig, reichen aber für das von ihm angestrebte Amt nicht aus. Ein Kommissionspräsident verkörpert die Gemeinschaft nach innen wie nach außen, ist quasi das Gesicht der EU. Er muss nicht nur verwalten und vermitteln, er muss überzeugen und – das mag angesichts der um sich greifenden EU-Skepsis verwegen klingen – begeistern. Ob Manfred Weber, der bisher jenseits europapolitischer Fachkreise wenig von sich reden machte, das kann, muss der CSU-Politiker noch unter Beweis stellen. Nun ist die Besetzung der wichtigsten Position, die in der EU zu vergeben ist, sicher von großer Bedeutung. Alleinentscheidend für das Schicksal einer Gemeinschaft, die in der wohl größten Krise seit ihrer Gründung steckt, ist die Personalie gleichwohl nicht. Vor welchen Herausforderungen die EU steht, hat Weber selbst gestern unverblümt formuliert, als er sagte, dass das vereinte Europa von außen wie von innen angegriffen werde und das Überleben des europäischen Lebensstils auf dem Spiel stehe. Trump und Putin von außen, Orbán, die PiS-Regierung in Polen oder neuerdings Italiens Populisten-Regierung von innen: Die Angreifer sind längst identifiziert. Bislang aber haben die, die weiter an den Wert und die Notwendigkeit eines geeinten, offenen, liberalen Europas glauben, den Attacken wenig entgegenzusetzen. Stattdessen wird denen das Feld überlassen, die gar kein Hehl daraus machen, dass sie dieses Europa lieber heute als morgen auf dem Müllhaufen der Geschichte sehen möchten, um an dessen Stelle ihren Ländern wieder nationale Größe einhauchen zu können. Ein gruseliges Szenario, dessen Anhängern man nur dringendst raten kann, mal wieder einen Blick in die europäischen Geschichtsbücher zu werfen. Selbst wenn es gelingen sollte, den Gegnern und Feinden der EU Paroli zu bieten, so steht doch fest: Die Europäische Union wird, sie muss sich um ihrer weiteren Existenz willen verändern. Schon allein durch den Austritt Großbritanniens aus der Gemeinschaft wird diese, nicht nur geografisch, eine grundlegend neue Gestalt annehmen. Das ändert wiederum nichts daran, dass Europa, will es nicht weiter an Bedeutung und Akzeptanz einbüßen, in drängenden Fragen zu gemeinsamen Antworten finden muss, sei es in der Flüchtlingspolitik, beim Klima- und Umweltschutz oder bei der Frage, wie sich wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und sozialstaatliche Erfordernisse in Zeiten der Digitalisierung miteinander vereinbaren lassen. Es wird nicht zuletzt am künftigen Kommissionspräsidenten liegen, auf all diesen Feldern trag- und zukunftsfähige Konzepte zu präsentieren. Aber auch ein noch so aktiver und kreativer Kommissionschef steht auf verlorenem Posten, wenn die nationalen Regierungen nicht endlich zu mehr Gemeinsamkeit zurückfinden.

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