Politik Leitartikel: Angezählt

Ob es zu einem Amtsenthebungsverfahren gegen US-Präsident Trump kommt, ist noch nicht ausgemacht. Aber seine Lage ist heikler, als er es

wahrhaben will. Und sein rastloser, undisziplinierter Stil schadet ihm sehr. 55 Prozent der Amerikaner glauben, dass Präsident Donald Trump des Amtsmissbrauchs schuldig ist.

55 Prozent der Amerikaner glauben, Donald Trump sei des Amtsmissbrauchs schuldig. Nur 40 Prozent aber erwarten, dass ihn das vorzeitig den Job kostet. Für diese Skepsis gibt es gute Gründe. Vor allem hat der Präsident das Glück, die eigene Partei im Kongress in der Mehrheit zu wissen. Anders als 1998, als Bill Clinton, ein Demokraten-Politiker, vom republikanisch dominierten Parlament angeklagt wurde. Noch gehen die meisten Republikaner davon aus, dass es ihnen die Macht sichert, wenn sie Trump stützen. Die Ansicht, dass die Ära Trump bis mindestens 2021 dauern dürfte, wird durch die Historie gedeckt. Nur gegen Clinton und davor 1868 gegen Andrew Johnson kam es überhaupt dazu, dass das Repräsentantenhaus ein Amtsenthebungsverfahren einleitete. In beiden Fällen scheiterte es im Senat. Präsident Richard Nixon zog 1974 die Reißleine und trat infolge der Watergate-Affäre zurück, bevor der Kongress zur Anklage schritt. Allen Hürden zum Trotz – es liegt mehr als ein Hauch von Watergate über dem aktuellen Weißen Haus. Ein vorzeitiges Aus des 45. US-Präsidenten ist nicht nur ein naiver Wunschtraum irgendwelcher Oppositioneller. Trump hat, das legt die Befragung von Ex-FBI-Chef James Comey nahe, die Justiz behindert. Und er hat wohl auch gelogen, als er die Gründe für Comeys Entlassung in mehreren Tranchen darlegte. Bisher gelingt es dem Oberleugner Trump, mit der ihm eigenen Chuzpe alles abzustreiten und das Gros seiner Wähler weiter glauben zu lassen, das sei alles nur eine Hexenjagd. Das geht so weit, dass Trump-Anhänger der Verschwörungstheorie Glauben schenken, die Enthüllungsplattform Wikileaks habe all die kompromittierenden Informationen über die Demokraten-Kandidatin Hillary Clinton von einem jungen Mann erhalten, der für Clintons eigene Partei arbeitete. Der kann dazu nichts mehr sagen – der damals 27-jährige Seth Rich wurde im Sommer 2016 auf offener Straße erschossen. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt. Dass „alternative Wahrheiten“ auf eine Stufe mit offiziellen Erkenntnissen gestellt werden, ist das Markenzeichen der Ära Trump. Was alle US-Geheimdienste sagen – Russland hat gehackt und Wikileaks gefüttert –, gilt als nur eine von mehreren Möglichkeiten. Zumindest für einen gewichtigen Teil der US-Öffentlichkeit. Verstörend: Trump hat in allen Kontakten mit Comey offenbar nie nach der Substanz der Vorwürfe gegen den Kreml gefragt. Immerhin: 55 Prozent der Amerikaner lassen sich nicht hinters Licht führen. Diesen Schatten auf seine Präsidentschaft muss sich Trump auch selbst zuschreiben. Er kann einfach nicht den Mund halten und schmiert immer wieder die Medienmaschinerie. Er hat es überdies versäumt, seine Geschäftsinteressen sauber zu regeln. Nur zu sagen, es gebe keine in Russland, reicht nicht, wenn man sich weigert, seine Steuererklärung zu veröffentlichen. Zumal, wenn der eigene Anwalt zu allem Überfluss die russische Sberbank im Klienten-Portfolio hat. 1998 war es eine obskure Webseite, der „Drudge Report“, der die Clinton-Lewinsky-Affäre ins Rollen brachte. Heute gibt es ungezählte Internet-Fallen, in die Trump tappen kann. Indiskretionen hat es immer gegeben, heute aber gibt es mit dem Internet eine Kloake der Lügen und Halbwahrheiten, die in Sekundenschnelle Karrieren erschafft – und auch wieder zerstört. Die Mueller-Ermittlung, gepaart mit den Klageverfahren zu Trumps Firmen und denen seines Clans, könnte zügiger Fahrt aufnehmen als gedacht.

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