Politik „Lasst Flüchtlinge schon viel früher voll arbeiten!“

Arbeiten oder in der Asylunterkunft Zeit totschlagen? Für den Juristen Richard Giesen ist klar, was für Flüchtlinge und die deut
Arbeiten oder in der Asylunterkunft Zeit totschlagen? Für den Juristen Richard Giesen ist klar, was für Flüchtlinge und die deutsche Gesellschaft besser ist.

Lasst Flüchtlinge so schnell wie möglich Sprachen lernen und verbietet ihnen das Arbeiten nicht: Diese Forderungen stellt der Münchner Arbeitsrechtler Richard Giesen auf dem heute beginnenden Deutschen Juristentag in Chemnitz.

Er dürfte manchen Handwerkern und Industrieführern aus der Seele sprechen. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber fordert immer wieder, Geflüchteten den Zugang zur Beschäftigung zu erleichtern. Arbeitsrechtler Giesen ist einer der Gutachter für den Deutschen Juristentag, die größte Juristenvereinigung Deutschlands, die sich als Sprachrohr des ganzen Juristenstandes versteht. Dass Ende 2017 lediglich 19 Prozent der Flüchtlinge aus nichteuropäischen Ländern sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren, nennt er niederschmetternd. Das liege zum einen an Sprachproblemen und einem häufig niedrigen Ausbildungsstand, zum anderen an gesetzlichen Beschäftigungsverboten. Die seien oft „kaum zu rechtfertigen“, meint Giese. Aufheben solle man zum Beispiel das dreimonatige Arbeitsverbot für Ankömmlinge und das davon unabhängige Arbeitsverbot für Asylbewerber, die in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen. Ein Verbot solle es nur geben, wenn der Betreffende keine Bleibeaussicht habe, zum Beispiel, weil er aus einem als sicher eingestuften Land kommt. Giese kritisiert auch die sogenannte Vorrangregelung. Danach muss ein Arbeitgeber, der einen Asylbewerber einstellen will, die Stelle erst öffentlich ausschreiben und dann einige Wochen warten; es könnte sich ja ein Inländer melden. Arbeitgeber schäumen, dass sie Stellen deshalb unbesetzt lassen müssen. Auch deshalb haben die meisten deutschen Arbeitsamtsbezirke diese Regel derzeit für mehrere Monate ausgesetzt – ginge es nach Giesen, sollte man sie ganz abschaffen. Für bürokratisch hält er auch die „Gleichstellungsprüfung“, nach der festgestellt werden muss, ob der Ausländer nicht zu ungünstigeren Bedingungen als vergleichbare deutsche Arbeitnehmer beschäftigt wird. Seit Einführung des Mindestlohns könne dies kaum der Fall sein, argumentiert Giesen. Das Argument, ein Zuwanderer könne anderen die Arbeitsplätze „wegnehmen“, passe ohnehin nur zu einer Planwirtschaft. Die besten Ergebnisse für effizientes Wirtschaften würden immer auf frei zugänglichen Arbeitsmärkten erzielt. Hürden sieht der Gutachter auch vor den Deutsch- und Integrationskursen. Ihm zufolge sollte jeder, der zunächst einmal in Deutschland bleiben darf, die Möglichkeit haben – ja sogar die Pflicht –, daran teilzunehmen. Derzeit haben nur Ausländer das Recht, an einem Integrationskurs teilzunehmen, die eine Aufenthaltserlaubnis von mindestens einem Jahr haben oder schon seit über 18 Monaten erlaubt im Land sind. Giesens Gutachterkollege Winfried Kluth von der Universität Halle-Wittenberg dürfte mit seinem Plädoyer für ein einheitliches Migrationsgesetzbuch in Leipzig wohl ebenfalls auf Zustimmung stoßen. Kluth gibt aber zu, dass die vielen Einzelregeln dadurch nicht weniger kompliziert würden – nur übersichtlicher. Mehr Widerspruch dürfte Kluths Vorschlag hervorrufen, den Menschenwürdeartikel 1 des Grundgesetzes in seinem zweiten Absatz um einen längeren Satz zu erweitern: „Rechtstreue und die gleiche Aufmerksamkeit für die Bedürfnisse aller in Deutschland lebenden Menschen bestimmen das Zusammenleben in der Gesellschaft und das Handeln der staatlichen Organe und Einrichtungen.“ Den Satz versteht Kluth als „Orientierung“. Er ist nicht der einzige, der beim Thema Flüchtlinge das Grundgesetz verändern will. Der Bielefelder Rechtswissenschaftler Johannes Eichenhofer zum Beispiel schlägt ein Staatsziel „Vielfalt und Integration“ vor. Kritiker sehen in solchen Ideen eher überflüssige Verfassungslyrik. Der Juristentag wird die Vorschläge zur Migrationspolitik sowie weitere Themen im Strafrecht, Verfahrensrecht und Wirtschaftsrecht zwei Tage lang diskutieren und daraus am Ende Empfehlungen an die Politik ableiten.

x