Vertuschungsvorwürfe Kurschus: Rücktritt mit Unschuldsbeteuerung

Nach ihrer persönlichen Erklärung verlässt EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus über einen Notausgang den Saal.
Nach ihrer persönlichen Erklärung verlässt EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus über einen Notausgang den Saal.

Im Umgang mit Missbrauch hatte sie besondere Sensibilität versprochen. Doch Recherchen einer Zeitung säten Zweifel an ihrem eigenen Handeln. Jetzt ist Annette Kurschus nicht mehr die oberste Vertreterin der Protestanten.

Annette Kurschus ist nach Margot Käßmann erst die zweite Frau, die in das höchste Amt der Protestanten in Deutschland gewählt wurde. Und wie einst Käßmann ist nun auch Kurschus als Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vorzeitig zurückgetreten – nach gerade mal zwei Jahren.

Während Käßmann 2010 über eine Alkoholfahrt stürzte, sind es bei Kurschus Vorwürfe, einen Fall sexuell übergriffigen Fehlverhaltens vertuscht zu haben. Auch ihren Leitungsposten als Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen gab sie ab.

Damit zog die Geistliche Konsequenzen aus einer Debatte, die am vorletzten Wochenende ein Lokalredakteur der „Siegener Zeitung“ in Gang gesetzt hatte: In Siegen war Kurschus früher Gemeindepfarrerin und später Superintendentin. Mit Bezug auf eidesstattliche Erklärungen zweier Zeugen berichtete das Blatt, Kurschus sei schon Ende der 1990er-Jahre bei einem Gespräch in ihrem Garten über Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens gegen einen ihr persönlich bekannten Kirchenmitarbeiter informiert worden. Doch sie habe diese nicht gemeldet.

„Ich bin mit mir im Reinen“

Dem widersprach die Geistliche – schon bei der EKD-Synode vergangene Woche und auch an diesem Montag, als sie im Bielefelder Kirchenamt ihren Rücktritt erklärte. „In der Sache bin ich mit mir im Reinen.“ Sie habe damals allein Homosexualität und die eheliche Untreue des Beschuldigten wahrgenommen. Von sexuellen Übergriffen habe sie erst Anfang 2023 erfahren.

Den Rücktritt begründete sie mit der aufgeheizten Debatte um ihre Person und kritisierte dabei auch die Medien: „Seit mehr als einer Woche wird in der Öffentlichkeit ein Konflikt geschürt.“ In aller evangelischen Freiheit zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen pointiert Stellung zu nehmen und theologisch auch Unbequemes klar beim Namen zu nennen, werde ihr durch die aktuelle Entwicklung nicht mehr so möglich sein. „Deshalb – und nur deshalb“ trete sie als Ratsvorsitzende und Präses zurück.

Kurschus war seit 2012 Präses und damit leitende Geistliche der Evangelischen Kirche von Westfalen. Vor zwei Jahren wurde die Pastorentochter im ersten Wahlgang dann auch noch an die Spitze des EKD-Rates gewählt. Die EKD vertritt rund 19,2 Millionen evangelische Christinnen und Christen in 20 Landeskirchen mit etwa 13.000 Kirchengemeinden.

Herausragende Predigerin

Die ledige Geistliche, die in Bonn, Marburg, Münster und Wuppertal Theologie studierte, gilt als herausragende Predigerin. Vor zwei Jahren erhielt sie den Ökumenischen Predigtpreis in der Kategorie „Lebenswerk“. Sie habe bei Trauerfeiern nach Katastrophen Standards gesetzt, hieß es zur Begründung. In Erinnerung geblieben sind nicht zuletzt ihre einfühlsamen Worte im Frühjahr 2015 im Kölner Dom nach dem Flugzeugabsturz mit 150 Toten in Südfrankreich.

Als Ratsvorsitzende mischte sich Kurschus - passend zu ihrem Selbstverständnis - kräftig in gesellschaftspolitische Debatten ein. Ihre ersten Wochen an der EKD-Spitze fielen in die Corona-Pandemie. Sie positionierte sich damals klar gegen Querdenker, indem sie für eine allgemeine Impfpflicht warb - aus christlicher Sorge für die Schwächsten.

Eindeutig Position bezog sie auch in der Debatte über Flüchtlinge. Jüngst warnte sie davor, sich auf eine Obergrenze festzulegen: „Grundsätzlich müsste unser reiches Land in der Lage sein, noch mehr Menschen aufzunehmen, die vor Krieg und unterschiedlichster Not aus ihrer Heimat fliehen und Zuflucht bei uns suchen.“ Mit Blick auf AfD-Wähler sagte sie, Vertrauensverlust und Angst vor der Zukunft seien „Futter für die Rechten“. Dies gelte erst recht, wenn parallel das berechtigte Gefühl zunehme, es gehe ungerecht zu.

„Antisemiten unter Kirchenmitgliedern“

Den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine verurteilte sie als Missachtung des Völkerrechts. Sie betonte das Recht auf militärische Selbstverteidigung, mahnte aber zugleich Gespräche an, die auf einen Waffenstillstand zielen. „Je länger dieser Krieg dauert, desto dringlicher wird für mich die Frage: Wie viele Menschenleben soll und darf er denn noch kosten?“

Nach dem Angriff der Hamas auf Israel bekundete sie Solidarität mit Israel und wandte sich gegen Antisemitismus. Kritisch merkte sie an: „Antisemiten sind auch unter unseren Kirchenmitgliedern.“

Den Mitgliederverlust der katholischen und evangelischen Kirche beobachtet die Geistliche mit Sorge: „Wir müssen deutlich mehr für unsere Attraktivität tun.“ Nach ihrem Rücktritt wird sich nun jemand anderes darum federführend kümmern müssen. Kommissarisch hat die Hamburger Bischöfin Kirsten Fehrs den Ratsvorsitz übernommen; Beobachter sehen in ihr eine aussichtsreiche Kandidatin für die Nachfolge von Kurschus.

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