Politik Kommentar: Neues Selbstverständnis

Erdogan steht nun sowohl an der Spitze des türkischen Staates als auch der

Regierungspartei. Mit seinen Ambitionen droht er Schiffbruch zu erleiden.

Die Türkei steht am Beginn einer neuen Ära. Mit der Rückkehr von Staatspräsident Erdogan auf den Chefposten der Regierungspartei AKP zeichnen sich außen- wie innenpolitisch Entwicklungen ab, die eine grundlegende Wende im Selbstverständnis des türkischen Staates signalisieren. Weniger Rücksicht auf bisherige Partner und eine Schwächung des Rechtsstaates zugunsten einer Personalisierung der Macht sind ab jetzt Teil der Staatsräson. Daran ändern auch Erdogans vergleichsweise versöhnliche Töne beim AKP-Parteitag nichts. Der Syrien-Konflikt, der Streit mit Iran und das Verhältnis zwischen dem Westen und Russland geben der geostrategisch günstig gelegenen Türkei einiges an politischem Gewicht. So ist es zum Beispiel kein Zufall, dass es ausgerechnet die sonst so auf die nationale Ehre bedachte Trump-Regierung mit einem Schulterzucken hinnimmt, dass US-Staatsbürger im eigenen Land von Erdogans Leibwächtern verprügelt wurden, als deren Chef kürzlich in Washington vorbeischaute. Das Problem für Erdogans Türkei: Sie überschätzt sich grandios. So ist das Ziel des Präsidenten, sein Land bis zum Jahr 2023 zu einer der zehn größten Volkswirtschaften der Welt zu machen, unerreichbar. Denn um unter die Top Ten zu kommen, müsste die Türkei innerhalb von sechs Jahren ihr Bruttoinlandsprodukt verdoppeln. Angesichts der labilen politischen Lage dort überlegt es sich so mancher ausländische Firmenlenker aber derzeit, ob er überhaupt am Bosporus investieren soll.

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