Ukraine-Krieg Kein Visum mehr für Russen?

Zypern gehörte in der Vergangenheit zu den beliebtesten ausländischen Zielen russischer Touristen.
Zypern gehörte in der Vergangenheit zu den beliebtesten ausländischen Zielen russischer Touristen.

In der EU wird heftig über einen weitgehenden Vergabestopp für Visa an russische Staatsbürger diskutiert.

Ist es nun Putins Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, wie Kanzler Scholz sagt? Oder trägt auch die russische Bevölkerung einen nicht unerheblichen Anteil daran? Sollten Russen also nicht mehr in die EU reisen dürfen?

Bislang war die Haltung der Europäischen Union eindeutig: Der russische Präsident Wladimir Putin und seine Günstlinge sind verantwortlich für den Krieg. Viele von ihnen sind mit Sanktionen belegt worden. Wovor man sich in Brüssel bislang scheut, sind Strafen gegen die Bevölkerung – doch der Wind dreht sich, zumindest ein bisschen. Mehrere Regierungen sind mittlerweile der Ansicht, dass der russische Angriffskrieg auch für das Volk Konsequenzen haben sollte.

„Europa zu besuchen ist ein Privileg“

Befeuert hatte die Debatte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj Anfang August mit einer Forderung nach einem Einreiseverbot für Russen. Innerhalb der EU machen Länder wie Estland, Lettland und Finnland Druck.

„Ich finde es nicht richtig, dass russische Bürger als Touristen in die EU, den Schengen-Raum einreisen und Sightseeing machen können, während Russland Menschen in der Ukraine tötet“, sagte die finnische Ministerpräsidentin Sanna Marin Anfang der Woche. Ihre estnische Kollegin Kaja Kallas schrieb auf Twitter: „Europa zu besuchen ist ein Privileg, kein Menschenrecht.“ Beide argumentieren auch aus eigener Betroffenheit. Denn da der Flugverkehr zwischen Russland und der EU infolge des Kriegs eingestellt worden ist, sind die an Russland grenzenden Länder Estland, Lettland und Finnland für Russen derzeit so etwas wie das Tor zur EU.

Estland lässt auch Russen mit Visum nicht mehr einreisen

Immer mehr Länder setzen deren Reisefreiheit nun jedoch Grenzen und schränken die Vergabe von Schengen-Visa an Russen ein. Dazu gehören Estland, Lettland, Litauen und Tschechien. Finnland will ab September folgen, Polen erwägt eine ähnliche Regelung. Dänemark dringt auf eine EU-Lösung und will sonst ebenfalls selbst handeln.

Estland geht seit diesem Donnerstag noch einen Schritt weiter: Das Land lässt selbst einen Großteil jener Russen nicht mehr ins Land, die bereits ein estnisches Visum haben. Doch Alleingänge bringen im Schengenraum nicht viel, da das Visum eines Landes für den gesamten Schengen-Raum aus 26 Ländern gilt.

Einzelfallprüfung notwendig

Bislang melden sich vor allem die Befürworter eines Einreiseverbots zu Wort. Kritische Stimmen aus den EU-Hauptstädten gibt es wenige – mit Ausnahme von Kanzler Scholz. „Es ist nicht der Krieg des russischen Volks, es ist Putins Krieg“, betont er. Zudem verweist er etwa auf russische Staatsbürger auf der Flucht. Ihnen dürfe man den Weg in die EU nicht erschweren. Unterstützung bekommt Scholz vom prominenten Kremlgegner Wladimir Milow, der vor einem „Visa-Krieg gegen Russen“ warnte.

Ein grundsätzliches Verbot für alle russischen Bürger ist rechtlich ohnehin keine Option. Vielmehr müsse jeder Antrag einzeln geprüft werden, heißt es aus der EU-Kommission. Nach einer Einzelfallprüfung könnten Anträge dann abgelehnt werden – etwa, weil jemand eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die internationalen Beziehungen sei. Bestimmten Personen müsse immer ein Visum ausgestellt werden, etwa Journalisten oder Dissidenten.

Russen verbringen Urlaub gerne im eigenen Land

In Russland selbst gehört ein Reiseverbot seit Tagen zu den meistdiskutierten Themen. Der Kreml warnte vor einer weiteren Verschlechterung der ohnehin bis zum Zerreißen gespannten Beziehungen mit dem Westen. Sollte die Visa-Vergabe tatsächlich eingeschränkt werden, dürfte dies jedoch wie die vorangegangenen Sanktionen öffentlich weggelächelt werden. Schon jetzt haben andere und vor allem visafreie Ziele etwa in der Türkei und Ägypten mit Direktflügen Konjunktur.

Ohnehin verbringen Russen ihren Urlaub fast nur in der Heimat. Das staatliche russische Meinungsforschungsinstitut FOM veröffentlichte als Antwort auf die Diskussion in der EU eine Umfrage, nach der sich knapp 70 Prozent der Befragten noch nie im Ausland erholt haben. Ferienorte in Russland an der Schwarzmeerküste oder in der Region Krasnodar, an der Wolga oder auch im Altai-Gebirge erfreuen sich seit Jahren wachsender Besucherzahlen.

Dennoch ist Russland stets das Land, aus dem die meisten Anträge für ein Kurzzeit-Visum im Schengenraum kommen. 2021 waren es nach Daten der EU-Kommission corona-bedingt zwar nur 536.241 Anträge, dies war jedoch immer noch knapp jedes fünfte Gesuch. Vor der Pandemie 2019 wurden sogar mehr als vier Millionen Anträge gestellt, was fast einem Viertel aller Ersuchen entsprach.

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