Politik Italia – nicht Europa

Wer die Parlamentswahl in Italien am Wochenende gewonnen hat, ist nicht so ganz klar. Die Fünf-Sterne-Bewegung ist zwar zur stärksten Kraft geworden – regieren kann sie das Land aber nicht alleine. Italien steht eine komplizierte Regierungsbildung ins Haus. Festzustehen scheint: Das Sagen werden in jedem Fall Politiker haben, die europaskeptisch sind und eher national denken.

Am vergangenen Sonntag waren rund 51 Millionen Italiener aufgerufen, ein neues Parlament und damit eine neue Regierung zu wählen. Nach Stimmen gerechnet geht die Fünf-Sterne-Bewegung des Ex-Komikers Beppe Grillo eindeutig als Sieger aus dieser Wahl hervor. Die populistische Bewegung, die sich weder links noch rechts verortet, konnte 32 Prozent der Wähler von sich überzeugen und wurde damit, wie schon bei der Wahl 2013, zur stärksten Partei. Die Fünf-Sterne-Bewegung war ohne einen Partner oder eine Koalitionsaussage zur Wahl angetreten. Stärkstes Bündnis wurde der Mitte-Rechts-Zusammenschluss von Silvio Berlusconis Forza Italia und der fremdenfeindlichen Lega unter Matteo Salvini. Zudem gehören dem Bündnis die neofaschistische Partei Fratelli d`Italia (FDI) und die Gruppierung Wir mit Italien (NCI) an. Dieses Bündnis vereinte 37 Prozent der Stimmen auf sich. Die Regierungspartei Partito Democratio (PD) ist bei der Wahl nach Auszählung fast aller Stimmen auf nur 19 Prozent gekommen. Die Partei, der auch Ministerpräsident Paolo Gentiloni angehört, verlor auch wichtige Direktmandate in Hochburgen wie der Toskana oder in Umbrien. Bei der Wahl 2013 hatte die PD noch 25,4 Prozent der Stimmen erreicht. Was bedeutet das Ergebnis für die Regierungsbildung? Eine eindeutige neue Regierung ist mit diesem Wahlergebnis nicht gefunden. Die Regierungsmehrheit von 316 Sitzen in der Abgeordnetenkammer, für die ein Bündnis oder eine Partei mindestens 40 Prozent der Stimmen benötigt hätte, konnte keine politische Kraft erreichen. Auch eine große Koalition, also ein Zusammenschluss des Partito Democratico und ihrer alliierten Parteien mit der Forza Italia reicht für eine Regierungsbildung nicht aus. Welche Konstellationen sind nun möglich? Die Fünf-Sterne Bewegung hätte als stärkste Partei theoretisch Anspruch auf das Amt des italienischen Ministerpräsidenten. Dafür müsste sie aber eine Koalition mit anderen Parteien eingehen, was sie in der Vergangenheit vehement ausgeschlossen hat. Doch die Bewegung ist bekannt dafür, einst in Stein gemeißelte Prinzipien schnell über Bord zu werfen. Nun steht die Partei, die sich inhaltlich nicht festlegen wollte und vor allem deshalb bei den Wählern punkten konnte, vor der Frage, in welche politische Richtung sie gehen wird. Von den Zahlen her ist beides denkbar: ein Bündnis mit der fremdenfeindlichen Lega, die bei den Parlamentswahlen ein Rekordergebnis einfahren konnte, oder ein Bündnis mit dem sozialdemokratischen Partito Democratico. Wie reagiert die abgestrafte Regierungspartei PD? Der linke Partito Democratico wurde vom Wähler abgestraft. Der Parteivorsitzende und ehemalige Ministerpräsident Matteo Renzi kündigte gestern an, von seinem Amt zurückzutreten. Dabei holte Renzi in seinem Wahlkreis in Florenz, wo er für den Senat kandidierte, mehr als 40 Prozent der Stimmen und ließ damit seine Gegner weit hinter sich. Auch wenn es in der Wahlnacht aus der Partei heraus bereits hieß, man gehe in die Opposition, wenn das Ergebnis unter die 20-Prozent-Marke fallen würde, ist eine Regierungsbeteiligung des Partito Democratio derzeit eine der wahrscheinlichsten Lösungen in der derzeitigen Patt-Situation. Welche Reaktionen auf das Wahlergebnis kommen aus Europa? Vor allem der Erfolg der europakritischen und fremdenfeindlichen Lega unter Matteo Salvini bereitet den Europapolitikern in Brüssel große Sorgen. Rechnet man die Wählerstimmen, die für die Lega und für die Fünf-Sterne-Partei abgegeben wurden, zusammen, stimmten fast 50 Prozent der Italiener für Parteien, die in ihrem Wahlprogramm europaskeptische bis -feindliche Töne anschlagen. Allerdings hatten sich nahezu alle Parteien im Wahlkampf – auch der derzeit noch regierende und von Brüssel geschätzte Partito Democratico – für die Abschaffung der strengen Sparpolitik von Seiten der Europäischen Union ausgesprochen. Klar ist: Eine lange Hängepartie wäre nicht nur für Italien, sondern für alle europäischen Partner ein Risiko. Italien ist immerhin die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone. Das Land benötigt eigentlich eine stabile Regierung, die den bereits angestoßenen Reformprozess fortsetzt. Da Italien bei diesem Wahlergebnis jedoch eine Regierung ins Haus steht, die über ideologische Grenzen hinweg gebildet werden muss, ist nicht damit zu rechnen, dass tiefgreifende Reformen verwirklicht werden können. Welche Rolle spielte die Flüchtlingspolitik in diesem Zusammenhang? Der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn hat die gescheiterte Verteilung von Flüchtlingen in Europa für den Aufstieg anti-europäischer Kräfte in Italien verantwortlich gemacht. Die Politik Polens und Ungarns, die eine Verteilung von Flüchtlingen innerhalb der Europäischen Union ablehnen, habe zu dem Wahlergebnis beigetragen. Italien habe seit 2014 mehr als 600.000 Flüchtlinge, die über das Mittelmeer kamen, aufgenommen, Migration sei ein Topthema im Wahlkampf gewesen. Vor allem die Politiker der Lega hätten „davon gelebt, dass sie sagten: Es gibt keine Solidarität in Europa“. Das Bild der EU in Italien, so Asselborn, „ist katastrophal“. Was erwarten Ökonomen nach dem Sieg der rechten und eurokritischen Kräfte? Experten bereitet vor allem der hohe Schuldenberg Sorge. „Diejenigen Parteien haben die Wahl gewonnen, die den Menschen mehr Staatsausgaben ohne Gegenfinanzierung und damit den Bruch europäischer Regeln versprochen haben“, warnte Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. „Mit dem Wahltag ist das Risiko einer staatlichen Insolvenz Italiens in den kommenden Jahren gestiegen.“ Die Verbindlichkeiten summieren sich auf rund 133 Prozent des Bruttoinlandproduktes. In der Euro-Zone wird dieser Wert allenfalls von Griechenland übertroffen. Wie steht es um den wirtschaftlichen Austausch zwischen Deutschland und Italien? Der Stiefelstaat ist einer der wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik. Bei den Importen steht er an fünfter, bei den Exporten an sechster Stelle. Die deutschen Direktinvestitionen dort summieren sich auf etwa 40 Milliarden Euro. Etwa 2200 deutsche Unternehmen mit 180.000 Mitarbeitern seien in Italien aktiv, heißt es beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Wie geht es nun weiter in Italien? Bis zum 23. März wird offiziell nichts in Sachen Regierungsbildung passieren. An diesem Tag versammeln sich die Abgeordneten der Kammer und des Senats erstmals in der neuen Zusammensetzung und bestimmen ihren jeweiligen Präsidenten. Bei dieser Wahl wird sich zeigen, welche Mehrheiten sich in der Zwischenzeit in den Hinterzimmern gebildet haben. Danach wird sich Staatspräsident Sergio Matteralla mit den Kammerpräsidenten und den Anführern der Parlamentsgruppen zusammensetzen und eine Person bestimmen, die die Regierungsbildung in die Hand nehmen soll.

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