Politik Interview zur Chemie-Tarifrunde: „Die Gewerkschaft muss ihre Ansprüche deutlich herunterschrauben“

Nicht nur bei der BASF laufen die Geschäfte derzeit nicht mehr so gut wie in den vergangenen Jahren.
Nicht nur bei der BASF laufen die Geschäfte derzeit nicht mehr so gut wie in den vergangenen Jahren. Foto: dpa

Die Tarifverhandlungen für die 580.000 Beschäftigten der Chemieindustrie werden ab Montag auf Bundesebene fortgesetzt. Die Positionen von IG BCE und Arbeitgeberseite liegen weit auseinander. Ralf Joas sprach mit dem Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Georg Müller, über die Lage.

Herr Müller, als Reaktion auf die Tarifforderung der Gewerkschaft hat Ihr Verband, der BAVC, betont: kein Lohnplus in der Rezession. Bei den regionalen Runden hieß es, es gebe nichts zu verteilen. Da könnte man sich die Verhandlungen doch eigentlich gleich sparen?
Zu Beginn von Verhandlungen haben beide Seiten meist sehr unterschiedliche Positionen. Wir auf Arbeitgeberseite schauen uns die wirtschaftliche Situation an.

Und was sehen Sie da?
Die Lage der Weltwirtschaft ist düster, weil das Wachstum in fast allen Regionen zurückgeht und weil der Welthandel eingebrochen ist. Aber auch die Situation in Deutschland spielt eine wichtige Rolle. Der Umsatz unserer Branche geht im laufenden Jahr um fünf Prozent zurück, die Produktion um sechs Prozent. Auch die Produktivität ist gesunken. Wir verzeichnen also bei wichtigen Kennziffern ein Minus. Da ist es vollkommen klar, dass es keinen wirklichen Spielraum zum Verteilen gibt.

Das sieht die Gewerkschaft anders, sie spricht von einem „leichten Abschwung“…
Ich bin gespannt auf deren Argumentation. Die IG BCE fordert schlicht zu viel; sie kalkuliert die Rezession seit Ende vergangenen Jahres überhaupt nicht ein. Da stehen sich zwei Positionen diametral gegenüber. Die Gewerkschaft muss ihre Ansprüche und ihre Erwartungshaltung deutlich herunterschrauben, sonst wird es sehr schwer.

Die IG BCE sagt, die Unternehmen hätten fast ein Jahrzehnt lang ordentlich bis sehr ordentlich verdient, da sei doch genug Geld vorhanden.
Ich bestreite nicht, dass es in den vergangenen zehn Jahren insgesamt gut lief. Wir haben ja auch entsprechende Lohnerhöhungen vereinbart und die Beschäftigten sehr ordentlich am wirtschaftlichen Erfolg beteiligt. Man muss aber doch sehen, dass wir seit dem vierten Quartal 2018 einen Rückgang in einer Größenordnung erleben, wie dies seit zehn Jahren nicht mehr der Fall war. Was aber nicht zurückfällt, sind die Löhne. Wenn die Branche nicht mehr wächst, sondern schrumpft, kann man bei den Lohnforderungen doch nicht so tun, als ginge alles so weiter.

Zur Lohnerhöhung hat die IG BCE keine konkrete Zahl genannt, beim sogenannten Zukunftskonto schon: Jährlich 1000 Euro sollen die Arbeitgeber für jeden Beschäftigten auf dieses Konto einzahlen.
Das Zukunftskonto wird sicher für heftige Diskussionen sorgen. Wir haben darüber bereits in der vergangenen Tarifrunde gesprochen. Auch damals haben wir gesagt, dass wir gerne über mehr Flexibilität und Souveränität bei der Arbeitszeit reden können. Aber die personelle Kapazität zu reduzieren in einer Phase, in der wir einen massiven Fachkräftemangel erleben, ist absolut kontraproduktiv. Das funktioniert nicht. Wenn wir Wege finden, die Kapazitäten zu sichern, können wir darüber reden, mehr Zeitsouveränität zu ermöglichen. Aber das muss erst sichergestellt werden.

Verstehe ich Sie richtig, dass für Sie bei diesem Thema die Frage, wer die Arbeit macht, fast wichtiger ist als die der Kosten?
Noch einmal: Wir haben einen Fachkräftemangel. Wenn nun Kapazität wegfällt, weil die Mitarbeiter zusätzliche freie Tage nehmen, dann geht das nicht. Und wenn beispielsweise in der Produktion Kapazität fehlt, dann hilft es nichts zu sagen: Aber im Büro wären noch Kapazitäten frei. Die Sicherung der Kapazitäten, und zwar passender Kapazitäten, ist zwingendes Muss.

Wäre es denn ein Weg, im Gegenzug einen Teil der Mitarbeiter mehr arbeiten zu lassen?
Wenn jemand sagt: Ich habe kein Problem damit, länger zu arbeiten, weil ich im Moment mehr Geld brauche, dann könnte das helfen. Das müssten wir aber zunächst einmal tariflich ermöglichen. Genau solche Punkte gilt es zu diskutieren.

Zudem fordert die IG BCE eine Zusatzversicherung für den Pflegefall. Da würden Sie tarifpolitisches Neuland betreten. Werden Sie diesen Weg mitgehen?
Die Absicherung der Pflegekosten ist ein Thema, das in der Zukunft noch wichtiger wird. Denn wenn ein Mitarbeiter oder einer seiner Angehörigen pflegebedürftig wird, kann das auch finanziell zu großen Belastungen führen. Es wäre sicher sinnvoll, in der Branche eine tarifliche Absicherung für solche Fälle zu haben. Aber auch das kostet Geld – und zwar auf Dauer. Aufgrund der derzeitigen wirtschaftlichen Situation ist es jedoch sehr schwer, Geld zu verteilen. Da werden wir darüber verhandeln müssen, wie so etwas überhaupt möglich ist.

Haben Sie schon ausgerechnet, wie sich Zukunftskonto und Pflegeversicherung in Lohnprozenten niederschlagen würden?
Das Zukunftskonto, wie es die IG BCE will, entspräche im Durchschnitt etwa 1,8 Prozent Lohnerhöhung. Je nach Betrieb und Entgeltstruktur kann das weniger, aber auch erheblich mehr sein. Bei der Pflegeversicherung landen wir, je nach Ausgestaltung, im Bereich von durchschnittlich 0,7 Prozent. Wenn man das zusammenrechnet und noch die von der Gewerkschaft gewollte Lohnerhöhung dazunimmt, steht am Ende ein Preis, bei dem wir sagen müssen: Das wird nicht funktionieren. Deshalb müssen wir in den Verhandlungen über die Prioritäten sprechen und darüber, wie bestimmte Maßnahmen konkret ausgestaltet werden sollen. Ich glaube, allen Beteiligten ist klar, dass es sehr schwer wird, hier eine Lösung zu finden.

Georg Müller, Verhandlungsführer der Chemie-Arbeitgeber und Bayer-Personalchef Deutschland.
Georg Müller, Verhandlungsführer der Chemie-Arbeitgeber und Bayer-Personalchef Deutschland. Foto: BAVC
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