Politik Forscher zu UN-Migrationspakt: „Es werden keine offenen Grenzen gefordert“

September 2015: In einer historischen Ausnahmesituation ziehen Hunderttausende Flüchtlinge innerhalb weniger Wochen über die Wes
September 2015: In einer historischen Ausnahmesituation ziehen Hunderttausende Flüchtlinge innerhalb weniger Wochen über die Westbalkanroute nach Norden. Hier weist österreichische Polizei den weiteren Weg.

Interview: Der Migrationsforscher Thomas Faist über den Vorwurf, der UN-Migrationspakt locke weitere Zuwanderer an

Der Bundestag hat am Donnerstag über den UN-Migrationspakt debattiert. Die Fraktion der AfD fordert, das Abkommen der Vereinten Nationen nicht zu unterzeichnen, weil damit angeblich die Souveränität Deutschlands bedroht sei. Winfried Folz befragte dazu Thomas Faist, Professor für transnationale Beziehungen, Entwicklungs- und Migrationssoziologie an der Universität Bielefeld. Herr Professor Faist, es gibt bereits die Genfer Flüchtlingskonvention, wieso war es nötig, einen UN-Migrationspakt zu schließen? Der UN-Migrationspakt ist vor allem ein Programmpapier, ein Planungs- und Absichtspapier, in das viele Aspekte aus ganz verschiedenen UN-Konventionen und -Abmachungen einfließen. Darin enthalten ist zum Beispiel die Genfer Flüchtlingskonvention, die europäische Menschenrechtskonvention oder die Kinderrechtskonvention. Alle diese Konventionen, die das Thema Migration in sich tragen oder indirekt dafür relevant sind, wurden nun zusammengebracht im UN-Migrationspakt. Insofern enthält das Dokument – ähnlich wie die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 – keinerlei bindende Verpflichtungen, die über jene hinausgehen, die die Staaten in den anderen Konventionen ohnehin bereits eingegangen sind. Man kann das vergleichen mit der Pariser Klimaerklärung: Der UN-Migrationspakt ist eine Absichtserklärung, die eine internationale Diskussion über konkrete Schritte in Gang bringen will, aber keine konkreten Schritte rechtlich bindend einfordert. Inwieweit ist die Unterzeichnung des Abkommens mit der Abgabe nationaler Souveränität verbunden? Ich kann überhaupt nicht erkennen, dass irgendwo nationale Souveränitätsrechte abgegeben werden. Wenn überhaupt wurden diese Rechte durch frühere Abkommen qualifiziert, etwa durch die Genfer Flüchtlingskonvention. Dann haben wir es mit Symbolpolitik zu tun? Ja, aber Symbolpolitik ist nicht unwichtig. Mit symbolischen Maßnahmen einher geht eine moralische Verpflichtung. Konkret geht es darum, stärker global in der Migrationspolitik zusammen zu arbeiten. Die globale Staatengemeinschaft muss eine Richtung finden. Der UN-Migrationspakt ist in dieser Hinsicht ein Kompass. Es gibt darin gute Hinweise für die Stärkung der Rechte von Migrantenkindern oder die Bekämpfung des Menschenhandels. Wenn man beobachtet, wie die EU seit Jahren daran scheitert, Flüchtlinge auf die Mitgliedstaaten zu verteilen, liegt da nicht die Vermutung nahe, dass der unverbindliche UN-Migrationspakt noch weniger ausrichtet? In der EU gibt es eindeutig rechtlich verbindende Maßnahmen, die aber leider auch nicht eingehalten werden, Stichwort Dublin-Verfahren. Angesichts der Reaktion verschiedener Mitgliedstaaten der EU sieht man, dass schon rechtlich verbindliche Maßnahmen auf Ablehnung stoßen. Das erklärt sich dadurch, dass Länder letztlich immer ihre Souveränitätsrechte durchsetzen können. Staaten haben die absolute Hoheit. Selbst Japan, das die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben hat, nimmt pro Jahr nur etwa 20 Flüchtlinge auf, der Rest erhält höchstens humanitäre Hilfe. Staaten sind zwar durch verbindliche Abkommen angehalten zu reagieren, aber sie können das auch umgehen. Wenn Deutschland das Papier unterschreibt, wird sich in der Migrationspolitik der Bundesregierung etwas ändern? Ich denke nicht. Deutschland hat ja die Genfer Flüchtlingskonvention unterschrieben und hält sich im Großen und Ganzen an die Verpflichtungen, die aus diesem Pakt erwachsen. Was sich durch den UN-Migrationspakt ändern könnte, ist eine Zunahme internationaler Initiativen, die stärker Flucht und Migration thematisieren. Man wird fragen: Was haben wir gelernt aus der Praxis der grenzübergreifenden Migration, was können wir verbessern? Das könnte international einen Diskussionsprozess in Gang bringen. Aber es erstaunt schon, was nun alles über den UN-Migrationspakt gesagt wird. Wenn der sächsische Ministerpräsident Kretschmer erklärt, der UN-Migrationspakt würde „Einwanderungsschleusen“ öffnen, ist das schlichtweg falsch. Es werden ja keine offenen oder „offeneren“ Grenzen eingefordert, es soll lediglich ein Prozess über international abgestimmte Regeln bei der Grenzkontrolle eingeleitet werden. Wochenlang hat die Bundesregierung zu dem Thema geschwiegen. Hätte sie nicht bessere Aufklärungsarbeit leisten sollen? Ich finde es wichtig, den UN-Migrationspakt einer breiteren Öffentlichkeit nahezubringen. Jetzt wäre auch die Zeit dazu, es ist nicht zu spät. Der Pakt soll im Dezember verabschiedet werden. Bisher sind die Konsultationen zwischen den Regierungen verlaufen, aber unter starkem Einbezug zivilgesellschaftlicher Organisationen wie den Kirchen und den internationalen Hilfswerken. Hier ist breit diskutiert worden. Auch der Vatikan hat eine starke Rolle beim Zustandekommen des Migrationspaktes gespielt. Kaum ein Beobachter hätte erwartet, dass so viele Länder gemeinsam den UN-Migrationspakt tragen. Es war nicht erkennbar, dass sich der Widerstand gegen den Pakt so stark entwickeln würde. Die Diskussion im Bundestag ist wichtig, ich begrüße das. Es ist klar, dass das sehr kontrovers ablaufen wird. Aber schlechter als den Pakt kontrovers zu diskutieren, wäre es, ihn zu verschweigen. |wif Entwurf des Migrationspakts auf Deutsch (Quelle: UN)

Bei einer Unterschrift unter den Migrationspakt würde sich für Deutschland nichts ändern: Thomas Faist von der Uni Bielefeld.
Bei einer Unterschrift unter den Migrationspakt würde sich für Deutschland nichts ändern: Thomas Faist von der Uni Bielefeld.
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