Politik Flüchtlinge: Italien droht EU mit Seerecht und Europarecht

Die italienische Regierung lässt in der Flüchtlingsfrage nicht locker: Rettungsschiffe des europäischen Triton-Programms sollen in Zukunft auch nicht-italienische Häfen anlaufen. Doch Rom hat ein Glaubwürdigkeitsproblem.

Die erneute Forderung nach einer gerechteren Verteilung der Flüchtlinge und Migranten wird Italien heute auf der Konferenz der EU-Grenzschutzagentur Frontex in Warschau stellen. Frontex ist federführend beim Programm Triton, dessen Schiffe zusammen mit der italienischen Küstenwache und Schiffen privater Hilfsorganisationen im Mittelmeer patrouillieren und in Seenot geratene Migranten retten. Die Triton-Schiffe operieren unter der Flagge verschiedener EU-Staaten, darunter auch Deutschlands und Frankreichs. Bisher bringen sämtliche Triton-Einheiten die Migranten in italienischen Häfen an Land. Rechtlich gesehen ist dies ein unhaltbarer Zustand: Nach internationalem Seerecht gelten Schiffe als nationales Territorium des Staates, unter dessen Flagge sie registriert sind. Migranten, die beispielsweise von einem deutschen Schiff in internationalen Gewässern gerettet werden, betreten deshalb auf diesem Schiff formal gesehen deutschen Boden. Und laut dem europäischen Dublin-Abkommen ist derjenige Staat für die Aufnahme und die Behandlung des Asylgesuchs zuständig, in welchem die Migranten und Flüchtlinge ankommen, in diesem Beispiel also Deutschland. In Italien sieht deshalb kaum noch jemand ein, warum die Triton-Schiffe mit den Migranten nicht auch einmal Marseille, Barcelona, La Valletta (Malta) oder Hamburg anlaufen können. „Es ist doch eine Heuchelei sondergleichen, wenn sich die EU auf ein gemeinsames Rettungsprogramm einigt, aber bei der Aufnahme und der Versorgung der Geretteten die gesamte Verantwortung auf ein einziges Land abschiebt“, sagte Italiens Innenminister Marco Minniti schon letzte Woche beim Treffen mit seinen EU-Amtskollegen in Tallinn, Estland. Der Italiener blitzte mit dem Thema beim Treffen der EU-Innenminister ab – es wurde nicht einmal auf die Tagesordnung gesetzt. Doch Rom will nicht lockerlassen: Sollten die europäischen Partner auch heute in Warschau jedes Entgegenkommen verweigern, könnte die Regierung von Paolo Gentiloni in einem einseitigen Akt aus der Operation Triton aussteigen, so italienische Medien. Doch Italien hat ein Glaubwürdigkeitsproblem: Das Land mag zwar Seerecht und EU-Recht auf seiner Seite wissen. Doch als 2014 die italienische Seerettungsaktion „Mare Nostrum“ durch die europäische Triton-Mission abgelöst wurde, stimmte die Regierung von Matteo Renzi der Ausnahmeregelung, wonach alle Rettungsschiffe italienische Häfen anlaufen müssen, ausdrücklich zu, wie die frühere Außenministerin Emma Bonino unlängst enthüllte. Sie habe sich zunächst „selber darüber gewundert“, warum die Regierung das zugelassen habe, so Bonino. Aber dann habe sie erfahren, dass die EU im Gegenzug versprochen habe, Italien bezüglich seines chronisch defizitären Haushalts etwas mehr Flexibilität zuzugestehen. Renzi streitet ab, dass es einen solchen Deal gegeben hat, aber der Ex-Premier ist durch Boninos Aussagen stark unter Druck geraten. Von der Opposition wird ihm vorgeworfen, die Interessen seines Landes verraten zu haben: „Renzi hat Italien an die EU verkauft, um sich dank der größeren Flexibilität mit Steuergeschenken politischen Konsens zu erkaufen“, so Renato Brunetta, Fraktionschef von Silvio Berlusconis Partei Forza Italia. Die Regierung von Paolo Gentiloni macht sich deshalb wenig Illusionen über die Bereitschaft der EU-Partner, über die Triton-Einsatzregeln zu reden. Außerdem ist es gut möglich, dass es bezüglich des Ausstiegs aus Triton bei der Drohung bleibt – so wie es bei der angedrohten Schließung der italienischen Häfen für Schiffe privater Hilfsorganisationen war. Italien mit dem Flüchtlingsproblem weiterhin allein zu lassen, ist mittelfristig trotzdem keine erfolgversprechende Strategie. Die egoistische Haltung der EU-Partner bringt große Teile der italienischen Bevölkerung gegen die EU auf und ist allerbeste Wahlwerbung für die fremdenfeindliche Lega Nord und die populistische Protestbewegung von Beppe Grillo.

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