Meinung Empathie ist das wertvollste Geschenk

Auch eine Umarmung der Kinder kann uns Kraft geben.
Auch eine Umarmung der Kinder kann uns Kraft geben.

Während sich viele auf die Feiertage freuen, dreht sich für einige die Welt auch zu Weihnachten zu schnell. Jeder tut gut daran, gütig mit dem Gegenüber umzugehen.

Weihnachten. Kraft tanken. Halt finden. Durchschnaufen. Die Pflicht bewusst sein lassen. Familie. Freunde. Ruhe. Für viele Menschen ist jetzt die Zeit gekommen, in der sich die Welt endlich wieder langsamer und etwas runder dreht. Die letzten Meter sind geschafft, jetzt gibt’s viel von dem, was der Seele guttut: Begegnungen, Süßes, Wärmendes.

Nach einem Jahr voller Krisen, Kriege und Katastrophen drücken die Menschen in der Pfalz den Pauseknopf. In Wohnzimmern liefern „Stille Nacht“, „Thank God it’s Christmas“ oder „In der Weihnachtsbäckerei“ den Soundtrack zu Bescherung und Festessen. Die Zeit steht für ein paar Tage still und heilt, was das Jahr verletzt hat. Gas- und Strompreise spielen nur eine Nebenrolle. Die Stuben sind warm, die Herzen voll. Weihnachten versöhnt – ein bisschen auch mit der Welt an sich.

Wenn Sie sich in den zwei bisherigen Absätzen wiederfinden, ist das sehr schön. Möge das Weihnachtsfest bei Ihnen genau so ablaufen, wie Sie sich das wünschen. Viele Menschen in der Pfalz erleben ein anderes. Sie haben das Gefühl, nichts zu haben, was ihnen Halt gibt, Wärme spendet, Zuversicht bringt.

Immer mehr Menschen fühlen sich verzweifelt

Manch einer wartet etwa seit Monaten auf einen Therapieplatz beim Psychotherapeuten. Menschen mit mentalen Herausforderungen sehen, wie die weite Welt aus den Fugen gerät, und wissen, dass ihre nahe Welt schon lange erschüttert ist. Sie wünschen sich kein iPad, kein Verwöhnwochenende, kein Snowboard. Sie wünschen sich Gesundheit, eine Perspektive, einen Leuchtstreifen am Horizont. Bei ihnen läuft zu Weihnachten eher Silbermond: „Gib mir einfach nur n’ bisschen Halt. Und wieg mich einfach nur in Sicherheit. Hol mich aus dieser schnellen Zeit. Nimm mir ein bisschen Geschwindigkeit. Gib mir was, irgendwas, das bleibt.“

Nie zuvor war der Bedarf an Psychotherapieplätzen so groß. Nie zuvor mussten Menschen so lange auf Termine warten. War die Gesellschaft in der Pandemie irgendwann „mütend“ – ein Kastenwort aus müde und wütend –, so trifft vielleicht die Wortneuschöpfung „verzwöpft“ die aktuelle Verfasstheit ganz gut. Immer mehr Menschen fühlen sich verzweifelt und erschöpft. Pandemie, Krieg, Terror, Inflation, Rezession, Depression: Die dunkle Jahreszeit saugt einigen die letzten Kraftreserven aus.

Manche haben noch ausreichend Kraftreserven, manche nicht

Wieso nun dieser Leitartikel zu diesem Thema, ausgerechnet zur Weihnachtszeit? Reine Dystopie? Mitnichten! Wenn Sie sich ab dem vierten Absatz in diesem Text wiederfinden, sei Ihnen gesagt: Sie sind nicht alleine. Diese Zeit fordert alle heraus: manche mehr, manche weniger. Manchen Menschen merkt man es an, manchen nicht. Manche haben noch ausreichend Kraftreserven, manche nicht. Manche finden Halt im Glauben, bei der Familie, im Freundeskreis, beim Sport oder im Beruf, manche nicht oder nicht genug.

Mentale Gesundheit geht uns alle an. Nicht nur, aber gerade zum Fest der Liebe ist Empathie das Gebot der Stunde. Güte und Verständnis heilen keine Krankheiten. Die Gnadenlosigkeit mancher Diskussion trägt aber erst recht nicht dazu bei, die Wartezeit bis zu einem Gesprächstermin leichter zu ertragen. Die Unerbittlichkeit, mit der die eine oder der andere die eigenen Überzeugungen als absolut und wahrhaftig verbalisiert, lädt nicht zum Diskurs ein, sondern beendet diesen meist. Menschen fühlen sich ausgeschlossen – und erst recht allein.

Wann, wenn nicht zu Weihnachten, gilt es zu träumen?

Jeder kann dazu beitragen, dass es Menschen vielleicht nicht grundsätzlich, aber zumindest situativ besser geht: mit Empathie. Wäre das nicht das schönste Geschenk?

Eines der bekanntesten Lieder von John Lennon steckt voller Utopien. Wer an Utopien glaubt, wird schnell als naiv abgestempelt. Doch wann, wenn nicht zu Weihnachten, gilt es zu träumen? Davon, dass jede und jeder in irgendetwas Halt und Zuversicht findet? „You may say I’m a dreamer. But I’m not the only one.“

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