Politik Ein Kompromiss – und seine Folgen

Tatsächlich gibt es einige Fallstricke, die den Konflikt in einigen Wochen wieder auf die Tagesordnung bringen könnten. Gleichwohl hat der Kompromiss weitreichende Folgen für die in Deutschland ankommenden Flüchtlinge. Was die Einigung für jene bedeutet, die es bis zur österreichisch-deutschen Grenze geschafft haben, zeigen die folgenden Fallbeispiele. Die Namen und Schicksale sind erfunden. Die rechtlichen Konsequenzen entsprechen jedoch dem am Donnerstag gefundenen Asylkompromiss der großen Koalition. Adil, 33 Jahre, aus Syrien, bittet um Asyl am Grenzübergang Kiefersfelden. Adil aus Shathah im Nordwesten Syriens hat es mit Hilfe von Schleppern geschafft, bis nach Griechenland zu flüchten. An der Südküste des Landes wird der Automechaniker von Polizisten des europäischen Grenzschutzes Frontex erkennungsdienstlich erfasst. Man nimmt ihm Fingerabdrücke und weist ihm einen Platz in einem Flüchtlingslager zu. Adil und einige weitere Syrer flüchten weiter über den Balkan bis zur österreichisch-deutschen Grenze. Vor deutschen Grenzpolizisten bittet Adil um Asyl in Deutschland. Nach Sichtung der Eurodac-Datei, in der die Fingerabdrücke registrierter Flüchtlinge gespeichert sind, erkennen die Polizisten, dass Adil bereits in Griechenland erfasst wurde, aber dort keinen Asylantrag gestellt hat. In diesem Fall kommt der Syrer in ein „Anker“-Zentrum, eine Aufnahmeeinrichtung, in dem das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein beschleunigtes Verfahren durchführt. Hier wird zunächst geprüft, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist. In diesem Fall ist es Griechenland. Daher wird Adil nach den Plänen der Regierung in das Ankunftsland zurück gebracht. Einzige Ausnahme: Adil hat engere Familienangehörige in Deutschland. Modou und Amissah, 27 und 23, aus Nigeria, werden bei der Schleierfahndung im bayerischen Grenzraum aufgegriffen. Das Ehepaar aus Kano im Norden Nigerias hat sich mithilfe von Freunden ins Nachbarland Libyen durchgeschlagen und wird dort in einem Lager interniert. Um dort wegen der katastrophalen Verhältnisse nicht ihr Leben zu lassen, vertrauen sie sich einem Schlepper an, der ihnen Plätze auf einem Schlauchboot besorgt. Außerhalb der libyschen Hoheitsgewässer gerät das Boot in Seenot. Die hilflosen Passagiere werden von einem Schiff der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ aufgenommen und auf Geheiß der italienischen Küstenwache nach Catania auf Sizilien gebracht. Dort werden Modou und Amissah von italienischen Behörden registriert. Beide stellen sofort einen Asylantrag. Afrikanische Verwandte, die in Frankfurt leben, organisieren den weiteren Fluchtweg über den Brenner nach Österreich und schließlich über die grüne Grenze nach Bayern. Polizisten entdecken sie bei der Schleierfahndung, 17 Kilometer hinter der Grenze. Die Eurodac-Daten belegen, dass Modou und Amissah in Italien registriert sind und dort ein Asylverfahren durchlaufen. Weil das Recht auf Asyl nicht das Recht beinhaltet, sich das europäische Land aussuchen zu können, müssen Modou und Amissah wieder zurück nach Italien. Derzeit gilt die Regelung, dass das zuständige Land diese Rücküberstellung genehmigen muss, wofür es sechs Monate Zeit hat. Läuft diese Frist ohne Entscheidung ab, wird in Deutschland ein reguläres Asylverfahren eröffnet. Um das zu verhindern, will Deutschland mit Italien ein Abkommen schließen. In diesem Fall kommen Modou und Amissah in ein Transferzentrum der Bundespolizei, von wo aus sie nach Italien gebracht werden. Der Aufenthalt im Transitbereich darf nicht länger als 48 Stunden betragen. Halim, 46, aus dem bosnischen Prijedor, bittet am Grenzübergang Suben um Asyl. Halim nimmt den Weg über Kroatien nach Slowenien, wo er im Grenzraum von Polizisten kontrolliert und registriert wird. Über die grüne Grenze gelangt der Bäcker nach Österreich und reist per Anhalter bis zum Grenzübergang Suben bei Passau. Dort bittet er die deutschen Zollbeamten um Asyl in Deutschland. Weil er im EU-Land Slowenien registriert wurde, es allerdings (noch) kein Abkommen mit dem Land über die sofortige Rücknahme von Flüchtlingen gibt, wird Halim direkt an der deutsch-österreichischen Grenzen zurückgewiesen. Er muss demnach in Österreich bleiben. Voraussetzung ist allerdings, dass es für solche Fälle ein Abkommen mit Österreich gibt. Dieses ist in Vorbereitung, jedoch pocht man in Wien darauf, dass die Zurückweisung an der deutschen Grenze nicht zu Lasten Österreichs geht. Wie dieser Konflikt gelöst werden soll, ist noch völlig offen. Funktioniert die Zurückweisung nicht, bleibt Halim auf deutschem Boden und durchläuft ein Asylverfahren in einem Anker-Zentrum. Allerdings stehen seine Chancen schlecht, als Asylbewerber anerkannt zu werden, weil Bosnien als sicheres Herkunftsland gilt. Ein Asylantrag würde nur dann positiv beschieden, wenn Halim nachweisen kann, dass er politisch verfolgt wird, um einen Schutzstatus zu erhalten. Gelingt ihm das nicht, gibt es eine Abschiebungsandrohung. Die Ausreisefrist beträgt je nach Fall zwischen einer Woche und einem Monat. Halim kann dagegen klagen. Dayyan, 24, Physikerin aus Tiflis, Georgien, möchte in Deutschland arbeiten. Derzeit kann Dayyan auf legalem Weg nach Deutschland kommen, wenn sie die Voraussetzungen für die Blaue Karte der EU erfüllt. Dazu zählt ein Hochschulabschluss (oder ein vergleichbarer Abschluss), ein garantieres Anstellungsverhältnis und ein Jahreseinkommen von mindestens 52.000 Euro. Eine Arbeitserlaubnis kann auch erteilt werden, wenn sie einen Beruf ausübt, der in Deutschland ein Mangelberuf ist. Dazu zählen Berufe im Pflege- und Gesundheitsbereichs sowie im Metallbau oder der Mechatronik. Deutlich mehr Möglichkeiten soll das „Fachkräfteeinwanderungsgesetz“ eröffnen, das die Koalition noch in diesem Jahr auf Druck der SPD auf den Weg bringen will. Es könnte nach einem Punktesystem wie in Kanada funktionieren. Kriterien wären Qualifikation, Alter, Sprachfähigkeit und der Nachweis eines Arbeitsplatzes.

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