Neues aus der Redaktion Die Macht der Bilder: Berichterstattung über den Krieg im Nahen Osten

Israelische Soldaten bewachen einen Kontrollpunkt an der Grenze zu Libanon.
Israelische Soldaten bewachen einen Kontrollpunkt an der Grenze zu Libanon.

Algorithmen sind gnadenlos: Sie greifen zu auf Tausende Datensätze von Internetnutzern, wissen genau, was uns interessiert, was uns bewegt – und schicken immer mehr davon auf unsere Neuigkeitenseite auf Facebook, Twitter oder Instagram. Besonders wirkmächtig sind Bilder und Videos, weil sie den direkten Weg ins limbische System der Menschen finden. Ein Moment genügt, und die Schaltzentrale der Gefühle setzt sich in Gang. Sie wandelt Gesehenes binnen Millisekunden in Empfindungen. Vieles vergessen wir wieder, manches bleibt haften, einiges verändert uns. Für Letzteres hat definitiv die aktuelle Bilderflut aus Israel und dem Gazastreifen Potenzial. Uns erreichen Fotos, die Terroristen beim Vergewaltigen von Frauen, beim Massakrieren von Kindern, beim Verstümmeln von Familienvätern, beim Verschleppen von Senioren zeigen.

Algorithmen belohnen Interaktion. Interaktion schafft Sichtbarkeit. Sichtbarkeit ist ein Ziel der Terroristen. Sie brauchen sie für ihre Propaganda. Die Bilder verfangen: zum Beispiel bei jenen, die in deutschen Städten das Massaker bejubeln. Sie machen aber auch etwas mit Menschen, die zumindest noch ein bisschen an das Gute glauben, Liebe dem Hass vorziehen. Sie säen Wut und Verzweiflung, stiften Ohnmacht und können zu Resignation führen.

In den gerade besonders unsozialen Netzwerken kursiert viel Hass. Die Löschtrupps kommen kaum hinterher, Videos und Fotos zu entfernen. Manche Zeitung zeigt derweil ganz analog und ohne Algorithmen Leichen auf Seite eins – nicht immer, um niedere Instinkte zu bedienen, sondern um den Schrecken eben in ganzer Dimension abzubilden. Es braucht allerdings schon eine dicke Schutzschicht über der Seele, um dabei nicht an der Welt zu verzweifeln. Ganz zu schweigen von der Wirkung auf Kinder, die die Titelseite auf dem Frühstückstisch entdecken und der Macht der Bilder besonders schutzlos ausgeliefert sind.

Das Tatsächliche benennen

Gründe gibt es für das explizite Darstellen des Terrors. Auch wir bei der RHEINPFALZ und RHEINPFALZ am SONNTAG mit unseren digitalen und analogen Kanälen möchten, dass die Welt weiß, mit wem sie es zu tun hat, wieso die Lehre aus dem Zivilisationsbruch des Dritten Reichs, wieso die Devise „Nie wieder“ keine Phrase sein darf, sondern jetzt gilt. Das Selbstverständnis von Rudolf Augstein, dem Gründer des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, ist auch unseres: „Sagen, was ist.“ Wir fühlen uns der Benennung des Tatsächlichen verpflichtet.

Nach intensiver Abwägung sind wir aber zu dem Schluss gekommen, dass für uns die Wahrung der Würde des Menschen über allem steht, wir unter keinen Umständen das Geschäft der Terroristen bedienen oder Unvorbereitete überfordern möchten. Wir zeigen deshalb weder digital noch gedruckt Tote oder Schwerverwundete.

Bilder sind prädestiniert für Manipulation jeglicher Art. Auch in Berlin wissen die Handelnden das. Es ist nachvollziehbar, dass Vertreter demokratischer Parteien darauf hinweisen, dass sich die Solidarität mit Israel nun darin beweisen muss, dass wir auch die Bilder aushalten, die durch die Gegenangriffe der Israelis in Gaza entstehen werden. Das wird hart genug. Die RHEINPFALZ wird auch in diesen Fällen bei ihrer Linie bleiben: beschreiben ja, zeigen nein.

Keine einfache Entscheidung

Andere Medienschaffende entscheiden anders – und das respektieren wir. Die Entscheidung ist nicht einfach, aus den eben angeführten Gründen. Wir möchten und wir werden nichts verschweigen, nichts verharmlosen. Wir benennen den Terror als das, was er ist: als bestialisch, durch nichts zu rechtfertigen, als ideologisch motiviert. Gleichzeitig werden wir auch umfassend berichten. Gerade der Nahostkonflikt ist komplex, er verdient vertiefte Recherche. Bei der Bebilderung muss es unserer Meinung nach eine bewusste Entscheidung von Redaktionen geben, die sich Gedanken machen, diskutieren, abwägen. Die nachrecherchieren und die Echtheit von Informationen und Bildern eingehend prüfen. Und die auf diese Weise einen Beitrag für eine freie, aber nie sensationsheischende Berichterstattung leisten.

 

 

 

 

Yannick Dillinger ist Chefredakteur der RHEINPFALZ.
Yannick Dillinger ist Chefredakteur der RHEINPFALZ.
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