Leitartikel Die Angst vor neuer deutsch-türkischer Partei Dava ist falsch

Der Vorsitzende von Dava: Teyfik Özcan.
Der Vorsitzende von Dava: Teyfik Özcan.

Deutsche mit türkischen Wurzeln haben angekündigt, mit einer eigenen Partei bei Wahlen in Deutschland anzutreten. Schnell werden sie verdächtigt, der verlängerte Arm Erdogans zu sein.

Wer der türkischen Regierung nicht passt, wird gerne als Handlanger des „feindlichen Auslands“ beschimpft. Etwa wenn eine Organisation in der Türkei Kontakte zu einer deutschen Stiftung pflegt oder wenn dort eine kritische Nachrichten-Website von der Europäischen Union mitfinanziert wird. Ähnlich geht es jetzt der Dava-Bewegung in Deutschland.

Die „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (Dava) war Mitte Januar mit der Ankündigung an die Öffentlichkeit getreten, an der Europawahl im Juni teilnehmen zu wollen. Deutsche Politiker und Medien argumentieren nun gerne, Dava sei der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Noch bevor die Partei überhaupt angemeldet ist, wird ihr nachgesagt, sie sei „die türkische Vision der AfD“.

Nicht vertreten gefühlt

Es lohnt jedoch ein genauerer Blick auf Dava. Die Gründer sind deutsche Staatsbürger. Doch weil sie türkischer Abstammung sind und Sympathien für den in der Türkei autokratisch herrschenden Erdogan erkennen lassen, wird ihnen unterstellt, eindeutig der Einflussnahme ausländischer Interessen in Deutschland zu dienen. Nicht nur von konservativen und weiter rechts stehenden Parteien, auch von Politikern links der Mitte wird der Dava vorgeworfen, sie wolle „Erdogan-Politik“ machen.

Eine Demokratie sollte mit einer solchen Partei indes anders umgehen. Deutsche Politiker könnten (sich) zum Beispiel fragen, warum sich türkischstämmige Bundesbürger von den bestehenden Parteien nicht vertreten fühlen und sich daher zu etwas Neuem zusammentun. Deutschtürken erleben Zurückweisung in ihrem Alltag, etwa wenn sie bei der Wohnungssuche benachteiligt werden. Konservative Türken klagen über Islamfeindlichkeit. Wenn sich deutsche Parteien nicht genug um solche Probleme kümmern, ist es nur logisch – und demokratisch –, wenn sich eine eigene Partei bildet. Dazu braucht es keinen Befehl von Erdogan.

Wohl kaum eine Alternative

Noch schlimmer ist, dass die Deutschtürken in der Debatte für politisch unmündig erklärt werden. Zwei von drei Deutschen mit türkischen Wurzeln votierten bei Bundestagswahlen bisher für die SPD, die Linke oder die Grüne – typische Erdogan-Wähler sehen anders aus.

Die Dava-Partei wird für viele Deutschtürken deshalb keine Alternative sein. Denn ihre führenden Politiker kommen aus dem islamisch-konservativen Milieu. Richtig ist nur: Als Parteinamen – Dava bedeutet auf Türkisch „Prozess“ oder „Anliegen“ – haben sie sich einen Begriff ausgesucht, mit dem Erdogan die Mission seiner Partei AKP beschreibt.

Beginnender Wahlkampf

Die Dava-Partei will in Deutschland also vor allem konservative Wähler mit türkischen Wurzeln ansprechen. Trotzdem werden die 1,5 Millionen Bundesbürger mit türkischen Wurzeln in der momentanen Debatte als Roboter dargestellt, die künftig geschlossen für die „Erdogan-Partei“ Dava stimmen würden. Nüchterner Blick auf die Fakten: Bei der Präsidentschafts- und Parlamentswahl in der Türkei im vergangenen Jahr holte Erdogan bei türkischen Wählern in der Bundesrepublik eine halbe Million Stimmen – bei einer Bundestagswahl läge das Ergebnis vielleicht bei einem Stimmenanteil von einem Prozent.

Dass so getan wird, als werde Erdogan bald mit Hilfe eines radikal-islamistischen Türkenvereins in Deutschland mitregieren, hat weniger mit der Dava-Partei zu tun als mit dem beginnenden Wahlkampf in der Bundesrepublik. Vor den Europa- und Landtagswahlen in diesem Jahr werden für die eigenen Zwecke Ängste geschürt.

Diese Taktik könnte glatt von Erdogan selbst stammen.

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