Leitartikel Der EU droht der Verlust des Balkans

Der starke Mann auf dem Balkan: Aleksandar Vucic.
Der starke Mann auf dem Balkan: Aleksandar Vucic.

Die Europäische Union fordert seit Jahren Reformen in den westlichen Balkanländern – vergeblich. Die Kriegsgefahr, die am Horizont aufzieht, wird vernachlässigt.

Beim EU-Gipfel der Regierungschefs am Donnerstag und Freitag wird einmal mehr über die Annäherung der Westbalkanländer an Europa diskutiert. Doch die Zeit läuft der Europäischen Union davon. Statt einer weiteren Debatte über demokratiepolitische und wirtschaftliche Reformen, die nur mühsam oder gar nicht vorankommen, sollte Russlands Aggressionskrieg gegen die Ukraine eine Umstellung der Tagesordnung erzwingen. Ganz oben müsste die geopolitische Bedeutung der Balkanregion für Frieden und Stabilität in Europa stehen. Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock hat zwar die nächste EU-Erweiterung zu einer „geopolitischen Notwendigkeit“ erklärt. Doch was daraus in der Realität folgt, bleibt im Unklaren.

Gemeint kann eigentlich nur Russlands wachsender Einfluss auf Südosteuropa sein – und damit die neuerliche Kriegsgefahr auf dem Balkan. 30 Jahre nach dem blutigen Zerfall Jugoslawiens. Der russische Kriegsdespot Wladimir Putin sieht den westlichen Balkan als Möglichkeit, um mit dortigen Unruhen vom Ukraine-Krieg abzulenken und Europa zu schwächen. Sein wichtigster Verbündeter vor Ort ist Aleksandar Vucic, Serbiens Präsident.

Russland und China werden hofiert

Mit der nahezu völligen Abhängigkeit von russischer Energie hat Vucic sein Land erpressbar gemacht und Serbien den Weg nach Europa praktisch verbaut. Immer unverblümter hofiert Vucic Russland, aber auch China als geopolitische Partner: Im Ukraine-Krieg steht der Belgrader Autokrat voll aufseiten Putins und lehnt westliche Sanktionen gegen Russland ab. Demnächst wird Chinas starker Mann Xi Jinping als künftiger Großinvestor in Belgrad erwartet.

Zugleich verschärft Vucic seine Rhetorik gegenüber EU und USA: „Der Westen muss sich zwischen Serbien und Kosovo entscheiden“, forderte er vergangenes Wochenende geradezu ultimativ. Dahinter steckt die Drohung mit Krieg. Serbien wartet nur noch auf den „bestmöglichen Moment“, sollte die EU weiterhin fordern, Kosovo als eigenständigen Staat anzuerkennen.

Die Generalprobe dafür fand vergangenen Herbst statt: Von Belgrad bezahlte Extremisten provozierten Unruhen an der Grenze zum Kosovo. Diese Unruhen dienen Vucic seither als Rechtfertigung dafür, laufend Armee-Einheiten an die Grenze zu verlegen. Kosovos Premier Albin Kurti forderte dieser Tage daraufhin einmal mehr eine Verstärkung der Nato-Truppen. Die derzeit dort stationierten 4000 Soldaten könnten im Ernstfall nicht mehr für Sicherheit und Stabilität sorgen, zumal der Dialog zwischen Serben und Kosovaren unter EU-Vermittlung längst gescheitert ist.

Die Rede ist von einem „Großserbien“

Kriegsgefahr droht auch im Zerfallsprozess von Bosnien-Herzegowina. Das ethnisch geteilte Land könnte als Gesamtstaat nur noch unter dem Dach der EU überleben. Denn Milorad Dodik, Präsident des serbischen Teils, der Republika Srpska, spricht immer offener von einem „Anschluss“ an die Mutterrepublik Serbien. Die mehrheitlich muslimischen Bosniaken sehen das natürlich anders. Die Entscheidungen des Vertreters der Internationalen Gemeinschaft, des Deutschen Christian Schmidt, ignoriert Dodik dabei ebenso wie die gesamtstaatlichen Institutionen. Dazu zählen das Parlament und das Oberste Gericht Bosnien-Herzegowinas.

In der Gedankenwelt Vucics und Dodiks geht es zunehmend um die Wiederauferstehung eines „Großserbien“. Vor über 30 Jahren haben die dazu nötigen Grenzverschiebungen den Jugoslawienkrieg ausgelöst. Vucic, damals Schützling des serbischen Kriegsherrn Slobodan Milosevic, weiß sehr wohl, von was er da spricht.

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