Politik Das Personalpaket der EU: Ein dritter Weg

Das wird knifflig für die Europaparlamentarier: Eigentlich müssten sie die Staats- und Regierungschefs an die Wand fahren lassen. Doch was dann? Vielleicht gibt es ja einen eleganteren Weg aus der Patsche.

Was nun, Europas Volksvertreter? Sollten sie das Personalpaket der EU-Staats- und Regierungschefs mit geballter Faust in der Tasche passieren lassen? Oder sollten sie es ablehnen und dem Europäischen Rat einen Denkzettel verpassen?

Es gibt gute Gründe, die Macrons, Contes, Orbans und Co. gegen die Wand fahren zu lassen. Die Geschichte des EU-Parlaments ist gepflastert mit Kampf und Krampf. Den Regierenden in Europas Hauptstädten mussten Beteiligungsmöglichkeiten und -rechte abgetrotzt werden. Das Prinzip, wonach der Spitzenkandidat der stärksten Fraktion im EU-Parlament oder jener, der eine Mehrheit hinter sich scharen kann, Kommissionspräsident wird, ist Teil dieser langen parlamentarischen Emanzipationsgeschichte.

Das Modell ist in den europäischen Verträgen nicht verankert, wohl wahr. Aber es wurde vor der Wahl 2014 ersonnen, von den Regierenden widerwillig akzeptiert und nach der Wahl in die Praxis umgesetzt. Das Ergebnis – Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker – war nicht das schlechteste.

Das soll nun alles nicht mehr gelten? Einige Staats- und Regierungschefs wollen das Rad zurückdrehen. Sie wollen sich per Federstrich die Entscheidungshoheit zurückholen. Lässt sich das Parlament das gefallen, verzwergt es sich. Das wäre eine schlechte Entwicklung. Und das wäre ein Schlag ins Gesicht jener, die die Fortentwicklung Europas wollen und für die Demokratisierung ihre Stimme abgegeben haben. So gesehen, haben die Staats- und Regierungschef einen Denkzettel verdient, einen dicken sogar.

Es gibt allerdings auch gute Gründe, sich nicht von Emotionen leiten zu lassen. Wut und Empörung sind keine guten Politikratgeber. Zumal Europa in keinem guten Zustand ist. Die Gräben zwischen Ost und West, Nord und Süd, Populisten und Normalos sind tief. Irrlichternde Selbstbeschäftigung braucht es jetzt gerade nicht. Jetzt, da der Brexit zu bewältigen ist, mit dem unberechenbaren Donald Trump Handelskonflikte auszutragen sind, Wladimir Putin Europa den Spaltpilz einzupflanzen versucht, die nationalistischen Fliehkräfte erstarken, das Klimaproblem drängender wird und der technologische Wandel unser Leben umkrempelt.

Europa muss sich behaupten. Kämpfe zwischen den Institutionen setzen keine Kräfte frei, sie lähmen.

Im Übrigen: Die Geschichte der EU ist eine der Kompromisse. Wie könnte es anders sein, wenn, wie derzeit noch, im Europäischen Rat 28 Interessenvertreter am Tisch sitzen? Von daher gehört zum Wesen europäischer Politik zwingend die Bereitschaft, Interessen auszugleichen – nationale, weltanschauliche, ökonomische und so weiter und so fort. Wer das Kompromissprinzip beherzigt, muss gelegentlich bittere Pillen schlucken.

Vielleicht gibt es ja einen gangbaren Weg aus der Misere: Die Abgeordneten stimmen der Personalie von der Leyen als Kommissionspräsidentin und damit dem Personalpaket zu. Zugleich verpflichten sich Kommission und Rat, gemeinsam mit dem Parlament Instrumente zu schmieden, die der Volksvertretung mehr Mitsprache einräumen. Denkansätze dafür sind längst in der Welt: von transnationalen Listen bis hin zur Direktwahl des Kommissionspräsidenten. Getrieben vom schlechten Gewissen oder der Einsicht – offenbar sind Europas Lenker auch bereit, sich auf die Denksportübung einzulassen. Denn der scheidende Ratspräsident Donald Tusk und der liberale Parlamentarier Guy Verhofstadt wurden beauftragt, Lösungen zu suchen. Immerhin.

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