Verteidigungsministerium Boris Pistorius: Der Überraschungsminister

Plötzlich im Rampenlicht: Boris Pistorius war bisher nur Landespolitiker.
Plötzlich im Rampenlicht: Boris Pistorius war bisher nur Landespolitiker.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat seinen neuen Verteidigungsminister nicht im Kabinett und auch nicht im politischen Berlin gefunden, sondern in Hannover. Kann Boris Pistorius den hohen Erwartungen gerecht werden?

Viele Namen wurden in den letzten Tagen für die Nachfolge von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht gehandelt. Von Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt über den Parteivorsitzenden Lars Klingbeil bis zur Wehrbeauftragten Eva Högl. Am Ende wird es keine und keiner von ihnen. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) landet nach einigem Hin und Her mit seiner Entscheidung für den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius (SPD) einen Überraschungscoup. Für den mit Abstand schwierigsten Job in seinem Kabinett holt er sich einen Landespolitiker nach Berlin. Der 62-Jährige Jurist besitze „die Kraft und Ruhe“, die für die große Aufgabe nötig sei, die nun auf ihn zukomme, sagte Scholz am Dienstag bei der Begründung seiner Entscheidung.

Pistorius wird für die Aufrüstung und Modernisierung der Bundeswehr angesichts der neuen Bedrohungen im Zuge des Ukraine-Kriegs zuständig sei - das ist das zentrale Element der von Scholz ausgerufenen Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik. Wer ist dieser Mann? Ist er den hohen Erwartungen gewachsen? Was kommt jetzt auf ihn zu?

Drei Eignungskriterien

Wenn es um die Eignung für den Job des Verteidigungsministers geht, werden in der Regel drei Kriterien genannt: Erfahrung, Expertise, Draht zur Truppe.

- Politisches Mittelgewicht: Der Jurist Pistorius gilt zwar als erfahrener Politmanager. Seine Karriere hat er bisher aber ausschließlich in der Kommunal- und Landespolitik gemacht. Er war Bürgermeister in Osnabrück und ist jetzt seit fast zehn Jahren Landesinnenminister, hat also Erfahrung mit der Führung einer großen Behörde. Auch wenn er stets in Niedersachsen blieb, war er auch an der innenpolitischen Positionierung der Bundes-SPD in Wahlkämpfen und an Koalitionsverhandlungen beteiligt. Als politisches Schwergewicht geht er aber nicht durch, eher als Mittelgewicht.

- Sicherheitspolitischer Experte mit Lücken: Auch Innenminister sind wie Verteidigungsminister Sicherheitspolitiker. Deswegen ist das Terrain, auf das sich Pistorius begibt, nicht ganz neu für ihn. Im Kreis der Innenminister von Bund und Ländern hat sich der Niedersachse in den vergangenen Jahren einen Ruf als kenntnisreicher Fachpolitiker erworben. Er gilt als pragmatisch, schlagfertig und führungsstark. Als langjähriger Innenminister eines Landes mit zahlreichen Truppen-Standorten verfügt er auch über gute Kontakte zur Bundeswehr, hat regelmäßig Standorte besucht und an Gelöbnissen teilgenommen. Was ihm fehlt, ist die internationale Erfahrung, die für den neuen Job nicht ganz unwichtig ist.

- Beste Chancen bei den Soldaten: Es gibt wieder einen Oberbefehlshaber der Bundeswehr, der gedient hat. Pistorius leistete 1980 und 1981 seinen Wehrdienst bei der damaligen Heeresflugabwehr in der Steuben-Kaserne in Achim bei Bremen. Er gilt als bodenständiger, etwas knorriger, sehr direkter Typ. Einer, der anpackt. Ein bisschen erinnert er an Peter Struck, der bis heute in der Truppe als Prototyp des idealen Verteidigungsministers verehrt wird. Bei seinem ersten Auftritt als künftiger Oberbefehlshaber machte Pistorius am Dienstag klar, dass ihm die Beteiligung der Soldaten an den anstehenden Veränderungen besonders am Herzen liege. Und er gibt ein Versprechen ab: „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde.“ Mit solchen Ansagen hat er beste Chancen, bei den Soldaten gut anzukommen.

Kennenlern-Termin in Ramstein

Er werde sich „vom ersten Tag an mit 150 Prozent in diese Aufgabe hineinstürzen“, verspricht Pistorius. Ihm bleibt auch gar nichts anderes übrig. Eine Einarbeitungszeit ist dem neuen Verteidigungsminister nicht gegönnt. Am Donnerstag erhält er von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier seine Ernennungsurkunde und wird im Bundestag vereidigt. Gleich danach steht der erste Termin auf seinem Programm. Der US-Verteidigungsminister Lloyd Austin wird in Berlin erwartet, um mit seinem neuen deutschen Kollegen den Gipfel der Ukraine-Verbündeten auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein vorzubereiten, bei dem es um weitere Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet gehen soll.

Dabei wird auch über die heikle Frage beraten, ob Kampfpanzer vom Typ Leopard 2 geliefert werden sollen. Deutschland nimmt dabei eine Schlüsselrolle ein, weil die Panzer hier produziert werden und die Bundesregierung deswegen jeden Export auch anderer Länder genehmigen muss. Der Kaltstart hat für den neuen Ministers auch seine Vorteile. In Ramstein kann sich Pistorius praktisch bei allen Verbündeten aus Nato, EU und darüber hinaus vorstellen.

Grüne sind verärgert

Noch schwieriger als die Waffenlieferungen für die Ukraine dürfte für den neuen Minister die Organisation der Zeitenwende bei der Bundeswehr werden. Wie setzt man die 100 Milliarden Euro für die Aufrüstung und Modernisierung der Streitkräfte sinnvoll und zügig ein? „Die Aufgaben die vor der Truppe liegen, sind gewaltig“, sagt Pistorius selbst. Er habe „Demut und Respekt“ davor.

Die Entscheidung für den Niedersachsen hat auch Auswirkungen für das Kabinett insgesamt. Damit verabschiedet sich Scholz von seinem Versprechen, seine Ministerriege paritätisch zu besetzen. Bisher waren es acht Männer und acht Frauen, nun werden es neun Männer und sieben Frauen sein - der Kanzler selbst nicht mitgezählt. Die Grünen machen bereits klar, dass ihnen die Parität „extrem wichtig“ sei. Fraktionschefin Katharina Dröge sagt, Pistorius sei zwar geeignet und qualifiziert. „Aber unser Selbstverständnis ist es, dass im Jahre 2023 ein Kabinett paritätisch besetzt ist.“ Punkt.

Das ist für Scholz jetzt aber nur noch schwer hinzubiegen. Zwar könnte es bald eine weitere Kabinettsumbildung geben. Aber auch da geht es wieder um den Abgang einer Frau. Innenministerin Nancy Faeser muss sich bis Anfang Februar entscheiden, ob sie Spitzenkandidatin der SPD bei der Landtagswahl in Hessen werden will. Falls ja, stellt sich die Frage, ob sie Innenministerin im Scholz-Kabinett bleibt. An dieser Stelle lässt sich die Schieflage zwischen männlichen und weiblichen Ministern also nicht zurechtrücken. Daher wird über dieses Thema in der Koalition wohl noch zu sprechen sein.

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