Politik 300 Flüchtlinge den Mördern ausgeliefert

Das niederländische Fernsehen zeigte 1995 Bilder von der niederländischen Basis in Potocari, wohin sich Hunderte muslimische Bos
Das niederländische Fernsehen zeigte 1995 Bilder von der niederländischen Basis in Potocari, wohin sich Hunderte muslimische Bosniaken geflüchtet hatten.

Ein Berufungsgericht in Den Haag hat gestern die Mitschuld des niederländischen Staates an dem Massaker von Srebrenica bestätigt. Für die klagenden Angehörigen der Opfer endete das Verfahren dennoch eher enttäuschend.

So weit das Auge reicht – nichts als schneeweiße Grabsteine: Mehr als 7000 Opfer des Massakers von Srebrenica im Juli 1995 wurden bislang im Gräberfeld Potocari, unterhalb der ostbosnischen Kleinstadt, beigesetzt. Weitere Grabsteine werden in zwei Wochen hinzukommen, wenn am 22. Jahrestag während einer Trauerzeremonie weitere identifizierte Opfer des größten Kriegsverbrechens in Europa seit 1945 beigesetzt werden. Bis heute werden menschliche Überreste in verstreut liegenden Massengräbern entdeckt. Niederländische UN-Soldaten bewachten damals die UN-Schutzzone Srebrenica, in die Tausende muslimische Bosniaken nach ihrer gewaltsamen Vertreibung durch die bosnisch-serbische Armee geflohen waren. Nach der Eroberung Srebrenicas in den ostbosnischen Bergen ließ General Ratko Mladic mehr als 8000 männliche Bosniaken im Alter von 13 bis 73 Jahren regelrecht hinschlachten. Angehörige der Opfer reichten 2014 eine Zivilklage gegen den niederländischen Staat ein und bekamen nur teilweise recht. Jetzt bestätigte das Berufungsgericht das Urteil erster Instanz, wonach die Niederlande weder für die gewaltsame Einnahme der Enklave noch für alle Opfer verantwortlich seien. Die Begründung: Militärische Befehlsgewalt und politische Verantwortung lagen beim UN-Sicherheitsrat, der Srebrenica zwar zur Schutzzone erklärte, aber nicht bereit war, sie militärisch zu verteidigen. Das niederländische Militärkontingent Dutchbat, das seine Basis in Potocari hatte, war gegen das bosnisch-serbische Militär machtlos. Das Gericht sieht Den Haag lediglich für die Ermordung von 300 Flüchtlingen mitverantwortlich, die in der Dutchbat-Basis Zuflucht gesucht hatten, aber von den Blauhelmen gezwungen wurden, das Gelände zu verlassen. „Sie haben ihnen gesagt, sie wären sicher“, empörte sich Munira Subasic von der Opferorganisation „Mütter von Srebrenica“, die zu den Klägern zählt. Der vorsitzende Richter Gepke Dulek-Schermers hielt den Blauhelmen vor, „sie hätten gewusst oder wissen können, dass diese Männer nicht nur festgehalten werden …, sondern sich in echter Gefahr befanden, der Folter oder der Exekution ausgesetzt zu sein“. In der Urteilsbegründung hieß es letztlich: „Man kann mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass diese Männer am Leben geblieben wären, wenn Dutchbat ihnen gestattet hätte, auf dem Militärgelände zu bleiben.“ Eine weitere Enttäuschung für die Angehörigen der 300 Opfer ist, dass das Berufungsgericht die finanzielle Entschädigung von 100 auf 30 Prozent herabsetzte. Deren konkrete Höhe wird in einem weiteren Verfahren festgelegt. Hoffnung auf Gerechtigkeit setzen die Angehörigen nun noch allenfalls in das gegen Ende des Jahres erwartete Urteil gegen Mladic vor dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag.

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